Damit das ein für allemal klar ist, sagt Vincent Gilles, Präsident der liberalen Polizeigewerkschaft SLFP: "So etwas gehört nicht zum Job".
Viel zu oft höre man im Zusammenhang mit gewaltsamen Übergriffen auf Polizisten, naja, dann müsse man eben nicht Polizist werden, das gehöre dazu. Nein! Ein Polizist muss sich nicht von Amtswegen verhauen lassen, schlägt Vincent Gilles mit der Faust auf den Tisch.
In diesem Zusammenhang müsse man wissen, dass ein Polizist in gewissen Situationen auch noch alleine gelassen werde, sagte Gilles in der RTBF. Wenn die Arztkosten - etwa bei einer Gesichtsverletzung - eine gewisse Schwelle überschritten, dann übernehme der Staat als Arbeitgeber nicht mehr die Kosten, dann stehe der Betroffene im Regen. Das sei absolut inakzeptabel, hier gehe es letztlich um einen Arbeitsunfall.
Eskalation
Bei der Polizei im Großraum Brüssel geht fast schon die Angst um. In den letzten Tagen haben sich die spektakulären Vorfälle gehäuft. Begonnen hatte alles in Vilvoorde Mitte vergangener Woche mit einer banalen Personenkontrolle. Es versammelten sich Schaulustige, am Ende rund 30 junge Männer, die dann irgendwann anfingen, die Polizisten zu provozieren. Die forderten Verstärkung an, die Situation entgleiste und es kam zu Zusammenstößen zwischen den jungen Männern und der Polizei. Resultat: drei verletzte Polizisten, die für eine Woche arbeitsunfähig waren.
Später am Abend waren auch noch mehrere Autos in dem Viertel demoliert worden, zwei junge Männer wurden gar bei der Herstellung von Molotov-Cocktails erwischt. Das Fass zum Überlaufen brachte dann aber eine Entscheidung des zuständigen Untersuchungsrichters, der die Verdächtigen laufen ließ.
In den Tagen darauf häuften sich Vorfälle dieser Art. Die Zeitung Het Laatste Nieuws hat die Ereignisse rekonstruiert: Am Freitag werden in Brüssel zwei Polizisten zusammengeschlagen, am Samstag führt eine Patrouille eine Personenkontrolle in Etterbeek durch, sofort kommt es zu einem Menschenauflauf, die Polizisten werden angegriffen, drei Beamte werden verletzt. In derselben Nacht wird ein Polizeiwagen mit Steinen beworfen, ein Polizist wird schwer verletzt. Sonntagnacht in Anderlecht fliegen dann schon Molotov-Cocktails auf die Polizei.
Falsches Signal
Jedes Mal werden Verdächtige festgenommen. Und jedes Mal sind sie in kürzester Zeit wieder auf freiem Fuß. Das Signal sei desaströs, sagte Vincent Houssin von der liberalen Polizeigewerkschaft in der VRT: Wenn solche Unruhestifter sofort wieder laufen gelassen würden, dann müsse man sich nicht wundern, wenn sie sich unantastbar fühlten. Das spreche sich natürlich rum, man betrachte das fast schon als einen Machtkampf um einige Viertel, das Feuer greife jedenfalls um sich und das mache ihm Sorgen, sagt der Polizeigewerkschafter.
In der Tat: Inzwischen heißt es schon, dass verschiedene Jugendbanden wohl versuchen, rechtsfreie Zonen zu errichten. Das Ganze bekommt jedenfalls mehr und mehr einen systematischen Anstrich. Die Polizisten seien in Anderlecht tatsächlich in einen Hinterhalt gelockt worden. Es habe einen falschen Notruf gegeben: Als die Beamten am Ort des Geschehens ankamen, wurden sie attackiert. Hier könne man durchaus von einer Strategie sprechen.
Und jetzt sei eben das Maß voll, donnern die Polizeigewerkschaften. So könne es definitiv nicht mehr weitergehen. Knapp ein Dutzend verletzte Polizisten innerhalb einer Woche: zu viel ist zu viel. Unsere Leute liegen noch im Krankenhaus, da laufen die Täter schon wieder frei wie ein Vogel durch die Gegend, beklagen die Gewerkschaften.
Innenministerin Joëlle Milquet versteht den Unmut der Polizeibeamten. Sie versprach einen neuen Rechtsrahmen, mit härteren Strafen, die dann auch vollstreckt würden. Die liberale Polizeigewerkschaft, die nach eigenen Angaben 22.000 Mitglieder zählt, will sich aber damit nicht begnügen. Für Anfang September wurde eine Streikankündigung ausgegeben.
Bild: Julien Warnand (belga)
Merkwürdig.
Noch vor einiger Zeit behauptete die Polizei in Brüssel, dass die Verhältnisse gar nicht schlimm seien und vieles "unverständlicherweise" hochgespielt würde.
Man konnte überhaupt nicht nachvollziehen, dass ausländische Medien vor den Verhältnissen in Brüssel warnten, war sogar empört darüber.
Alles ganz harmlos, so hörte es sich noch vor wenigen Monaten an.
Doch jetzt wurden zur Abwechslung nicht wie sonst die Bürger verprügelt und Touristen ausgeraubt, sondern mal ein paar Polizisten vermöbelt und plötzlich geht das große Geheule los. Urplötzlich haben sich die Verhältnisse total verändert.
Solange nur der Bürger ausgeraubt und vertrimmt wurde, war wohl alles nicht so schlimm. Tut ja auch nicht weh, wenn es der fremde Kiefer ist.
Wer in Brüssel ausgeraubt wurde und anschließend auf der Polizeiwache erlebte, wie man dort seine Anzeige erst gar nicht aufnehmen wollte, weiß, was gemeint ist.
Die belgische Justiz ist mitschuldig am jetzigen Desaster, das steht fest.
Aber die Polizei in Brüssel sollte sich jetzt nicht als unschuldiges Lamm hinstellen. Vieles ist selbst verschuldet und einiges hätte wohl auch verhindert werden können, wenn man seinen Job beizeiten ernster genommen hätte.
Dass die Verhältnisse in Brüssel garnicht so schlimm seien, das haben nicht (nur?) die Polzeiverantwortlichen gesagt (falls überhaupt), sondern vor allem die regionalen Politiker (z.B. Moureaux und Thielemans) die, koste was es wolle, ihre Baronien verteidigen und die Polizeigewalt nicht an die Region Brüssel abgeben oder sonstwie zentraler führen lassen wollen. Das Gleiche gilt für viele andere Dienste in der Region, die viel rationeller zentral geführt werden könnten. Man ist lieber, ähnlich wie Berlin, "arm und sexy" und "förderungs-wert", vorzugsweise aus Flandern...