"Historisches Ereignis", und doch scheint es mit Ausnahme der Politik eigentlich niemanden zu interessieren. Was nicht heißt, dass BHV nicht mehr als eine - zugegeben etwas lange - Fußnote wäre.
Keine Champagner-Korken. Keine Polonaise freudentrunkener Menschen. Kein Volksfest. An diesem Freitag wird Geschichte geschrieben. Nicht, weil es der 13. ist. Nein! BHV wird gespalten.
BHV: der vermeintliche Spaltpilz. BHV: die Akte, die das zwischengemeinschaftliche Klima seit fast 50 Jahren vergiftet, über die Regierungen gestürzt sind. BHV: das Problem, das die 541-Tage-Krise ausgelöst hat. BHV, drei Buchstaben, die im belgischen Kontext mit drei anderen gleichgesetzt werden konnten: TNT.
Die Auseinandersetzung um BHV: für die flämischen Parteien war das fast schon das Remake der Schlacht der Goldenen Sporen: vielleicht nicht mehr identitätsstiftend, aber mindestens identitätserhaltend. Einsatz: der flämische Charakter des Brüsseler Rands. Ziel: die Eindämmung des Ölflecks. Damit gemeint ist die ständig fortschreitende Verbreitung des Französischen bzw. Verdrängung des Niederländischen im Brüsseler Rand.
Zutaten für eine fast schon apokalyptische Auseinandersetzung
Entsprechend leidenschaftlich, nein, erbittert haben sich denn auch beide Seiten beharkt: die Flamen, weil sie die Anomalie BHV abschaffen, die territoriale Einheit Flandern ein für allemal herstellen wollten; die Frankophonen, weil sie es nicht zulassen wollten, dass man die Rechte der Französischsprachigen im Brüsseler Rand beschneidet.
Beide Haltungen entspringen entgegengesetzten Konzeptionen und schließen sich gegenseitig aus. Resultat war ein 50 Jahre andauernder Grabenkrieg, der das Land tatsächlich an den Rand des Abgrunds geführt hat.
Am Ende sind beide Seiten dann doch aus den Schützengräben gekrochen und haben sich die Hand gereicht. Das allerdings wohl nur, weil inzwischen ein neuer Protagonist das Schlachtfeld betreten hatte: Bart De Wever und seine plötzlich bärenstarke N-VA, die die Frankophonen und die traditionellen flämischen Parteien gleichermaßen als Feind betrachten. Ohne diese neue, gemeinsame Bedrohung "von außen" wäre die inzestuöse BHV-Endlosschleife wohl noch immer nicht durchbrochen.
Ironie der Geschichte: derjenige, ohne dessen Druck die Spaltung von BHV wohl auch jetzt nicht zustande gekommen wäre, Bart Wever, er kann sich nicht mit den Federn schmücken.
Doch welche Federn? muss man sich fragen. Denn: so existentiell der Konflikt anmuten mochte, so bemerkenswert unspektakulär ist sein Ausgang. Eben ohne Champagner-Korken, ohne großes Aufhebens.
Schmerzliche Erfahrung
Eine schmerzliche Erfahrung ist es jedenfalls, die die flämischen Parteien da gerade machen müssen. Für sie war es riskant, sich auf die explosiven institutionellen Verhandlungen mit den Frankophonen einzulassen, wusste man doch, dass ihnen jeder Kompromiss als Verrat an der flämischen Sache ausgelegt werden würde.
Ein gutes Stück dieser Gratwanderung haben sie inzwischen einigermaßen schadlos hinter sich gebracht. Doch das Publikum hat sich abgewendet. Kein Applaus, nicht einmal Aufmerksamkeit. Die BHV-Helden schaffen es nicht, ihren zweifellos historischen Erfolg zu verkaufen, geschweige denn umzumünzen. Wenn es das unausgesprochene Ziel war, De Wever dadurch zu entzaubern, dass man da Ergebnisse erzielt, wo er mit seinen Maximalforderungen gescheitert ist... dieser Plan scheint erstmal nicht aufzugehen.
Was sagt das nun über das Problem BHV aus? War es wirklich nur das, wonach es -von außen betrachtet- aussehen konnte, nämlich eine surrealistische politische Sandkastenquerele? Macht diese Apathie aus BHV urplötzlich einen bloßen Treppenwitz der Geschichte?
Mit Sicherheit nicht! Vor einigen Jahren brachte es der damalige SP.A-Vorsitzende Steve Stevaert einmal anschaulich auf den Punkt: BHV, das sei -zugegeben- das Problem Numero 177. Allerdings: man müsse erst besagtes Problem 177 lösen, um die 176 wichtigeren anpacken zu können.
Genau das ist es: BHV hatte zu allererst Symbolcharakter. Vor allem für die Flamen ging's ums Prinzip. Und solange die Frankophonen hier auf stur schalteten, war im Grunde kein wirklich emanzipierter Dialog möglich.
Jetzt, oder nie!
Im Umkehrschluss heißt das: jetzt, oder nie! BHV ist Geschichte. Wenn die Regierung noch etwas vorzuweisen haben will, auch, um - wie beabsichtigt - De Wever den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen. Um noch ein Bild eines flämischen Sozialisten zu bemühen, nämlich Johan Vande Lanotte: BHV, das sei wie ein Stein im Schuh. Hat man den einmal ausgeschüttelt, dann denkt man in der nächsten Sekunde nicht mehr dran. "Und dann kann der Wanderer Gas geben", möchte man hinzufügen.
Nicht nur, dass BHV den Weg ebnet für eine endlich nochmal nüchterne politische Debatte, die Lösung des Dauerproblems kann auch Signalwirkung haben: alle Protagonisten, in erster Linie viel zu lange schon mauernden Frankophonen, werden vielleicht doch mal einsehen, dass weniger mehr sein kann: An dem Tag, wo die Zuständigkeiten in diesem Land klar abgesteckt, die gemeinschaftspolitischen Streitfragen gelöst, die Geldströme aufgedröselt sind: Erst dann ist ein erwachsener Dialog frei von Emotionen möglich. "Les bons comptes font de bons amis", sagt der Franzose: "Klare Rechnungen erhalten die Freundschaft".
Dass das BHV-Problem bald nur noch eine düstere Erinnerung ist, das löst bestimmt nicht alle Probleme; das wird auch nicht die gemeinschaftspolitischen Spannungen mit einem Mal in Rosenduft verwandeln. Aber es kann ein Anfang sein, ein NEU-Anfang, der Beginn eines gesünderen zwischengemeinschaftlichen Dialogs in dieser Zweckgemeinschaft Belgien, zu der Flamen, Wallonen, Brüsseler und Deutschsprachige bis zum Beweis des Gegenteils verdammt sind. Das Land hat in den Abgrund geblickt; die Politik hat sich im letzten Moment auf dem Absatz umgedreht. Ob man nicht doch noch abrutscht, hängt nur davon ab, wie viel BHV-Schwung die Regierung jetzt mitnimmt...
Bild: BRF