In genau 13 Jahren sind wir in Belgien atomstromfrei. Aber mal ganz ehrlich: Wer glaubt wirklich daran? Bereits 2003 hatte Belgien - lange vor Deutschland - den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Das Gesetz von damals hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. Eine Klausel, die besagte, dass der Ausstieg vom Ausstieg möglich ist, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist. Konkret: Wenn es nicht genug Alternativen gibt.
In der Praxis hat diese kleine Textpassage dazu geführt, dass das Gesetz nie richtig umgesetzt wurde. Und: Viel schlimmer noch, dass kein einziger Investor massiv Geld in nachhaltige Energiegewinnungsformen gesteckt hat.
Damit lässt sich in Belgien ja nichts verdienen - der Produzent von Atomstrom dagegen reibt sich fleißig die Hände und füllt weiter ungeniert seine Taschen. Zehn Jahre lang haben die Regierungen Verhofstadt, Leterme und Van Rompuy eine Chance nach der anderen vertan. Statt mitten in der Energiewende zu stecken, ist sie für uns noch immer Zukunftsmusik. Zumindest das macht die Entscheidung der Regierung Di Rupo besser: Es gibt keine Hintertür mehr im Gesetz.
Hälfte des Stroms in Kernkraftwerken produziert
Rund die Hälfte des belgischen Stroms wird derzeit in Kernkraftwerken produziert. Zwei davon gibt es hierzulande - in Doel und Tihange - mit insgesamt sieben Reaktoren. Die zwei ältesten Meiler in Doel werden 2015 heruntergefahren. Ab 2020 folgen die anderen. Zu denen zählt auch der Reaktor Nummer eins von Tihange. Baujahr: 1975. Seine Laufzeit wurde jetzt unverständlicher Weise um zehn Jahre verlängert. Um die Versorgungssicherheit der Belgier mit Strom nicht zu gefährden, heißt es. Vor allem an kalten Winterabenden könnte es ansonsten zu Problemen kommen.
Zwei Fragen: Tihange I ist 2025 unvorstellbare 50 Jahre alt. Wer garantiert da noch für die Sicherheit? Hat die Regierung noch nie etwas von Tschernobyl und Fukushima gehört? Und: Warum kommt der eigentliche Atomausstieg erst in zehn Jahren? In einem ersten Schritt fallen gerade einmal 15 Prozent der Atomstromproduktion weg. Ab 2022 dann fast auf einen Schlag der ganze Rest. Wie sollen wir unter diesen Umständen eine vernünftige Energiewende hinbekommen? Fünf Reaktoren drehen erst mal kräftig weiter auf Hochtouren.
Electrabel und sein französischer Mutterkonzern GDF Suez verdienen sich eine goldene Nase und halten Investoren und alternative Energiegewinnungsformen fern. Übrigens: So wie Energieversorger Electrabel den Belgiern seit Jahren das Geld aus der Tasche zieht, muss dort inzwischen alles aus Gold sein… nicht nur die Nase. Die Laufzeitverlängerung für das längst abgeschriebene Tihange ist trotz neuer Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen so etwas wie ein Sechser im Lotto für den Konzern. Auch wenn er lautstark protestiert und in der Öffentlichkeit das Gegenteil behauptet.
Und so bleibt der Eindruck, dass der Einfluss der Electrabel-Bosse bei der Entscheidungsfindung groß gewesen sein muss. Sollte sich die Koalition aus Sozialisten, Christdemokraten und Liberalen in Wirklichkeit nur Zeit gekauft haben, um die Ausstiegsfrage in zehn Jahren erneut auf den Tisch zu legen, wäre das feige, gemein und hinterhältig. Di Rupo & Co. müssen jetzt beweisen, dass sie es ernst meinen mit dem Ausstieg aus dem Kernenergie. Sie müssen knallhart am Zeitplan festhalten. Und die Energiewende einläuten. Heute und nicht erst in zehn Jahren.