Sie waren wohl auf jene "15 Minuten Ruhm" aus, von denen auch schon Andy Warhol sprach… Sharia4Belgium, ein kleiner Verein von pubertären und pubertierenden Spinnern, spezialisiert auf billige Haudrauf-Provokationen.
Nun, ihr Ziel haben sie erreicht. Und es waren deutlich mehr als 15 Minuten Ruhm; inzwischen sind es schon 15 Tage.
Damit eins klar ist: Feinde der freiheitlicher Werte - ob nun Islamisten, Rechtsradikale oder sonstige Integristen, die noch dazu zu Intoleranz, Hass und Gewalt aufrufen, die haben keinen Platz in unserer Gesellschaft. Genau da liegen nämlich die Grenzen der Meinungsfreiheit. Sharia4Belgium und ihr Sprecher, Fouad Belkacem, haben Hass gepredigt, quasi den Heiligen Krieg auf belgischem Boden ausgerufen, junge Menschen angestachelt, sich gegen den Staat aufzulehnen. Das gehört unterbunden, gegebenenfalls bestraft, keine Frage. Darüber muss man nicht diskutieren. Und da darf es auch keine Nuancen geben. Selbst die Tatsache, dass es sich bei Sharia4Belgium um eine Handvoll Hitzköpfe und Witzfiguren handelt, die man eigentlich nur schwerlich wirklich ernst nehmen kann, geht nicht als mildernder Umstand durch.
Entsprechend hätte man sich einen souveränen Umgang des Staates und auch der Medien mit der Gruppe gewünscht. Klar war Sharia4Belgium einen Schritt weiter, einen Schritt ZU weit gegangen, und hatte in Molenbeek nach einem eher banalen Vorfall einige Leute zusammengetrommelt, die drauf und dran waren, ein Polizeikommissariat zu stürmen. Doch hat man ein Problem, das erwiesenermaßen eins war, in der Folge nur noch größer gemacht, bis es am Ende bis zur Unkenntlichkeit verzerrt war.
Warum musste Fouad Belkacem tagelang von fast allen Titelseiten lächeln? Warum musste man den Eindruck bekommen, dieser Haufen von Clowns, die ihre Pressekonferenzen in einer Antwerpener Pizzeria abhalten, stelle eine Gefahr für den Staat in seiner Gesamtheit dar. Warum hat plötzlich die ganze Gesellschaft ein gefährliches Spiel mitgespielt, das eine kleine, isolierte Gruppe angefangen hat, nämlich: maximale Polarisierung, "wir gegen euch"?
Reaktion der Politik
Die Reaktion der Politik war jedenfalls entsprechend: "Die Gruppe gehört verboten!", tönte es. Stopp! Das geht ja gar nicht! Einen faktischen Verein kann man nicht verbieten, rechtlich gesehen existiert er gar nicht.
"Fouad Belkacem gehört ausgewiesen!", hieß es dann. Stopp! Geht auch nicht. Er ist Belgier.
"Dann nehmen wir ihm eben die Nationalität ab!". Stopp! So einfach ist das nicht. Und wenn die Justizministerin hier schon quasi die Order ausgibt, dem Mann die Nationalität abzuerkennen, dann darf man an der Neutralität des Verfahrens zweifeln.
Justizministerin Annemie Turtelboom hat hier ohnehin eine äußerst zweifelhafte Rolle gespielt. Nicht nur, dass sie Belkacem quasi virtuell und eigenmächtig schon die Staatsangehörigkeit aberkannt hat; danach ließ sie verlauten, der Mann bleibe jetzt 6 Monate in Haft, weil er eine entsprechende Strafe absitzen müsse.
Ach so? Das entscheidet inzwischen also die Justizministerin, nicht mehr ein Richter? Korrektur der Ministerin, um wohl den Eindruck der Parteilichkeit aus der Welt zu schaffen: ab jetzt sollen alle kurzen Haftstrafen unter drei Jahren vollstreckt werden! "Wie bitte?", wird wohl so mancher reagiert haben. Aber, nein, es stimmt: wer in Belgien zu einer Haftstrafe von unter sechs Monaten und mitunter sogar von unter drei Jahren verurteilt wurde, der muss in der Regel nicht ins Gefängnis. Wenn dafür auch keine Entschuldigung gibt, es gibt zumindest einen Grund: die Haftanstalten sind überfüllt. Deswegen ist der Vorstoß von Turtelboom denn auch höchstwahrscheinlich heiße Luft: 10.000 Häftlinge für 8.000 Plätze im Augenblick: wie sollen denn da die kleineren Strafen jetzt plötzlich doch vollstreckt werden. Das hat man davon, wenn man sein Justizwesen über Jahrzehnte hinweg am langen Arm verhungern lässt.
Doch apropos Justiz: Die hat ja in Antwerpen zu allem Überfluss noch einen kapitalen Bock geschossen, als sich herausstellte, dass in der Akte schon der Entwurf des erwünschten Urteils lag: Verlängerung der U-Haft, also. Dieses Schriftstück fanden die Anwälte von Fouad Belkacem bekanntlich BEVOR das Verfahren überhaupt stattgefunden hatte. So viel zum Thema Neutralität der Justiz und Rechte der Verteidigung.
Belkacem hätte es nicht besser machen können: Die Sichtbarkeit seines Vereins ist inzwischen so groß, dass er auf die gesamte muslimische Gemeinschaft abstrahlt; und solche Leute leben nun mal von Konfrontation.
An Grundfesten des Rechtstaates gerüttelt
Hinzu kommt: Mit diesem ganzen Theater hat der Staat das geschafft, was Extremisten in der Regel anstreben, nämlich an den Grundfesten des Rechtstaates zu rütteln. Wie heißt es so schön: "Man erkennt den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft daran, wie sie mit ihren Feinden umgeht". Im vorliegenden Fall ist Belgien für einen Moment lang zum Willkürregime mutiert; wie schnell doch hehre Grundprinzipien im Mülleimer landen können…
Das ist sie eben: Emokratie in Reinform, wo es ausschließlich darum geht, in einem emotional aufgeheizten Klima demonstrativ resolute Maßnahmen zu ergreifen. Notfalls auf Biegen und Brechen. Apropos: letzter Vorschlag, der im Raum steht, diesmal von der MR: Belgien braucht einen Anti-Terror-Plan nach französischem Vorbild, mit schwerbewaffneten Soldaten in den Straßen, die wichtige Öffentliche Orte schützen.
Junge Junge, Junge! Das Ganze trägt längst die Züge einer Massenhysterie. Zwar ist es richtig, über Innere Sicherheit oder den Kampf gegen Extremisten zu sprechen, über Mittel und Wege zur Integration zu streiten. Nur fehlt derzeit schlichtweg der kühle Kopf für eine nüchterne Debatte. Wenn man sich dann noch einmal daran erinnert, wie die ganze Sache eigentlich angefangen hat, dann kann man nur sagen: für Fouad Belkacem und seine spinnerten Mitstreiter ist das alles definitiv "zu viel der Ehre"…