
3. Oktober 2008. Die Lage bei der Fortis spitzt sich dramatisch zu. Nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Geschäftsbank Lehman-Brothers zwei Wochen zuvor ist die gesamte Finanzwelt ins Taumeln geraten.
Einer nach dem anderen gehen die Schwächsten über die Wupper, jene Banken, die knapp kalkuliert hatten, die sich verkalkuliert hatten. Darunter ist auch die Banken- und Versicherungsgruppe Fortis, die sich mit der Übernahme der niederländischen ABN-Amro verhoben hat. Die Finanzkrise gibt ihr den Rest.
Besagter 3. Oktober ist ein Freitag. Nach Börsenschluss an jenem Abend sollte sich das Schicksal der Fortis besiegeln. An genau diesem Wochenende - vom Freitagabend 3. bis Sonntagabend 5. Oktober - werden nacheinander erst die niederländische, ehemalige ABN-Amro und dann die Fortis-Bank verkauft. Am Montag darauf ist die Fortis eigentlich nur noch eine leere Hülle: Die Bankaktivitäten sind veräußert, entsprechend stürzt der Kurs der Aktien in Bodenlose, die Anteile sind kaum mehr als ein paar Cent wert.
Nur wusste das am 3. Oktober noch niemand. Das heißt eigentlich: "fast niemand". Eben an diesem 3. Oktober gab es eine kurze außerordentliche Sitzung des Fortis-Aufsichtsrates. Und dabei wurde den Mitgliedern mitgeteilt, dass die Zerschlagung der Fortis bevorstand. Mitglied des Aufsichtsrates ist auch Luc Vansteenkiste, Schwergewicht des belgischen Wirtschaftslebens. Unter anderem war Vansteenkiste zwischenzeitlich Vorsitzender des Unternehmerverbandes FEB, wegen seiner Verdienste darf er übrigens den Titel "Baron tragen".
Ortswechsel: Die Compagnie Bois Sauvage (eine Finanzholding, die insbesondere im Immobilienbereich tätig ist), immer noch am 3. Oktober. Bois sauvage verkauft eben an jenem Freitag 3,6 Millionen Fortis-Aktien. Stückpreis: 5,40 Euro. Gemessen am Kurs von noch vor ein paar Wochen ist das nicht viel. Doch sollte sich zeigen, dass es dennoch der richtige Zeitpunkt war, die Aktien abzustoßen. Am darauffolgenden Montag - nach der Zerschlagung - war die Fortisaktie nur noch 1,50 Euro wert. Erholt hat sich das Papier nie mehr.
"Na, da hat aber mal einer ein Näschen bewiesen", mag sich da so manch einer gedacht haben: "Bois sauvage" verkauft noch für 5,40, fast vier Euro mehr als nach dem Wochenende. Doch glaubt längst nicht jeder an die Existenz solch feiner Näschen. Der Verdacht: Bei Bois sauvage hatte man einen Tipp bekommen.
Und hier kommt wieder Luc Vansteenkiste ins Spiel. Der hatte ja an dem ominösen Freitag von der anstehenden Zerschlagung der Fortis erfahren. Und Vansteenkiste soll dann, so die Überzeugung der Ermittler, seinen Freund Vincent Doumier, den Geschäftsführer von Bois sauvage, über die Pläne in Kenntnis gesetzt haben. Vincent Doumier habe denn auch nicht lange gefackelt und noch schnell die Fortisaktien verkauft. Das nennt man Insider-Handel. Und das ist strafbar.
Bloße Spekulation irgendwelcher spinnerter Ermittler? Oder ist da doch was dran? Fakt ist: ein Insider-Geschäft ist unheimlich schwer zu beweisen. Es gibt immer tausend gute Gründe, Dinge zu kaufen oder zu verkaufen. Und man darf auch nicht grundsätzlich ausschließen, dass der eine oder andere wirklich über ein feines Näschen verfügt.
Bild: Virginie Lefour (belga)