
Armut? Was heißt das eigentlich. Zum einen gibt es da die nackten Zahlen, den rein finanziellen Aspekt: die so genannte Armutsgrenze.
Für den Statistiker liegt die bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. In Belgien wäre das für einen Alleinstehenden ein Einkommen von weniger als 1.000 Euro pro Monat.
Doch spiegeln derlei Zahlen immer nur einen Teil der Realität wieder. Sie bleiben letztlich abstrakt und erlauben zudem schwerlich einen Vergleich mit anderen Ländern. Deswegen, so sagt Chris de Neubourg von Unicef, mache man die Armut auch an ganz praktischen Dingen fest.
Beispiele: drei Mahlzeiten pro Tag, täglich Gemüse und Obst essen, mindestens einmal pro Jahr neue Kleidungsstücke oder neue Schuhe, aber auch soziale Aspekte wie die Möglichkeit, an einem Schulausflug teilzunehmen. Dinge, die so selbstverständlich nicht sind. 9,1 Prozent der Kinder in Belgien müssen jedenfalls ganz oder teilweise auf scheinbar so alltägliche Aspekte einer - man kann sagen - "Grundversorgung" verzichten.
Im Vergleich
Im europäischen Vergleich rangiert Belgien damit im Mittelfeld. Unicef hat die Untersuchung in insgesamt 35 Ländern durchgeführt. Und demnach ergibt sich anderswo noch ein deutlich dramatischeres Bild: In Ungarn etwa lebt knapp ein Drittel der Kinder in Armut, in Bulgarien ist es mehr als die Hälfte und in Rumänien ist die Situation am schlimmsten: Mehr als sieben von zehn Kindern fehlt es dort laut Unicef an den essentiellen Dingen des Lebens.
Kleine Klammer: Die Unicef-Studie räumt auch einmal mehr mit dem amerikanischen Traum auf. In den USA lebt eins von vier Kindern unter der Armutsgrenze. Da gebe es nur eine Erklärung, sagt Chris de Neubourg, und die ist naheliegend: Die Politik in Europa oder auch in Kanada sei schlichtweg sozialer ausgerichtet.
Am besten schneiden hier übrigens - wieder einmal - die skandinavischen Länder ab: In Dänemark, Schweden, Finnland und auch in Norwegen und Island liegt die Kinderarmut unter fünf Prozent. In Island oder Schweden ist sie quasi verschwindend gering. Die Niederlande schneiden mit knapp drei Prozent ebenfalls sehr gut ab. Und dann kommt das Mittelfeld, wo unter anderem Deutschland oder Österreich nur unwesentlich besser als Belgien dastehen.
Missverhältnis zwischen Wohlstand und Kinderarmut
Doch sind auch solche Ranglisten letztlich nur die halbe Wahrheit. Dass Belgien besser abschneidet als Rumänien, das kann man sich an den fünf Fingern abzählen und das sagt denn auch im Grunde nichts aus. Betrachtet man die Zahlen einmal im Lichte des allgemeinen Wohlstandsgrades eines Landes, dann sieht die Sache anders aus. Im Klartext: Wie reich ist das Land, in dem ein Kind arm ist? Und da schneidet gerade Belgien am schlechtesten ab: Belgien ist das Land, in dem es in Europa, gemessen an seinem Reichtum, die meisten armen Kinder gibt.
Genau das mag denn auch verwundern, sagt Chris de Neubourg: Zehn Prozent Kinderarmut in einem so reichen Land wie Belgien, das lasse tief blicken. Im Grunde hätte Belgien wohl die Mittel, die Kinderarmut zumindest zu halbieren. Fast ein Drittel der Kinder, die in Belgien von Armut betroffen sind, haben den ominösen "Migrationshintergrund". Andere Betroffene sind Kinder von alleinerziehenden Elternteilen oder Kinder, deren Eltern beide arbeitslos sind.
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