Diese und andere Fragen sollte ein parlamentarischer Sonderausschuss beantworten. Der Abschlussbericht liegt nun vor.
Viel schlauer sind wir seit dem späten Freitagabend nicht. Nach langem Hin- und Her legte die Dexia-Kommission mitten in der Nacht ihren Abschlussbericht vor. Doch sind sich viele Beobachter einig: Das Ergebnis der Untersuchung ist enttäuschend - gemessen an der Tragweite des Desasters, das die Parlamentarier unter die Lupe nehmen sollten. Hier geht es nämlich um zweifellos das größte Finanzdebakel der belgischen Geschichte.
Die Zahlen sprechen für sich: Als die Dexia Anfang Oktober vergangenen Jahres erneut vor der Pleite stand, wurde die Gruppe zerschlagen. Belgien übernahm die belgische Bank, die inzwischen Belfius heißt. Kostenpunkt: 4 Milliarden Euro. Bürgschaften für belgische Anteilseigner bzw. die Abwicklung der Gemeindeholding schlugen noch einmal mit rund 2 Milliarden zu Buche.
Ganz zu schweigen von dem Damoklesschwert, das für die nächsten Jahrzehnte über dem belgischen Staat baumelt. Für die so genannte Restbank, also das, was von der Dexia-Gruppe noch übrig bleibt -im Wesentlichen ist das Ramsch- haben die Staaten gebürgt - Belgien zu rund 60 Prozent. Konkret heißt das, dass Belgien im schlimmsten Fall für über 54 Milliarden gerade stehen muss. Das ist mal eben ca. ein Sechstel der Staatsschuld.
Dexia, ein beispielloses Debakel also. Zumal, wenn man bedenkt, dass die Finanzgruppe 2008 schon einmal am Abgrund stand und dass seither der Staat Aktionär der Bank war.
Also: Wer ist für die Katastrophe verantwortlich? Wieso haben die Aufsichtsbehörden, wieso hat der Staat als Aktionär von der Schieflage nichts gemerkt? Wie gesagt: Seit Freitagabend ist man da nicht viel schlauer. Und das beklagen sogar Parlamentarier der Mehrheit.
"Der Abschlussbericht der Kommission verdient die Note ungenügend", sagte der SP.A-Abgeordnete Dirk Van der Maelen in der VRT. Deswegen habe er sich auch bei der Abstimmung über das Papier enthalten. "Ungenügend", dafür gebe es auch Gründe.
Erstens: die Kommission habe nur drei Monate Zeit gehabt, den Absturz der Bank zu durchleuchten, in den Niederlanden habe man sich in einer vergleichbaren Akte 15 Monate Zeit genommen. Hinzu komme aber - und das sei ungeheuerlich: Die Abgeordneten hätten nicht ein einziges Dokument einsehen dürfen.
Wenn schon Teile der Mehrheit nicht glücklich mit der Arbeit der Dexia-Kommission sind, dann muss man nicht fragen, wie die Opposition dazu steht. Insbesondere die Grünen hatten sich in Sachen um Aufklärung bemüht, und entsprechend vernichtend war denn auch die Kritik der Groen-Abgeordnete Meyrem Almaci: "Der Abschlussbericht der Dexia-Kommission: eine Schande! Ein Tiefpunkt! Ein Skandal", polterte sie noch im Parlament.
In der VRT warf sie der Mehrheit Scheinheiligkeit vor. Die habe einen Untersuchungsausschuss mit allen Mitteln verhindern wollen - der wäre ja quasi mit den Zuständigkeiten eines Untersuchungsrichters ausgestattet gewesen. Stattdessen habe man sich für einen Sonderausschuss entschieden und dabei den Leuten weisgemacht, dass man sich das Recht vorbehalte, den notfalls in eine Untersuchungskommission umzuwandeln. Dafür gebe es tausend Gründe, einige davon stehen sogar im Abschlussbericht. Die Mehrheit habe hier aber blockiert.
Kein Untersuchungsausschuss, sondern ein Sonderausschuss: Das ist in der Tat mehr als nur ein Streit um Begriffe. Ein Untersuchungsausschuss kann Zeugen vorladen, ein Sonderausschuss nicht. Resultat: einige Protagonisten, allen voran Yves Leterme, sind einfach nicht erschienen, haben die Aussage de facto verweigert. Ein Sonderausschuss hat auch nicht das Recht, Akteneinsicht verbindlich zu fordern. Ergo: Man ist in gewisser Weise vom guten Willen der Gegenseite abhängig.
Und das war wohl im Sinne des Erfinders, glauben Kritiker. Allen voran die CD&V hatte mit dem damaligen Premier Leterme und auch Dexia-Verwaltungsratspräsident Dehaene gleich zwei prominente Mitglieder in vorderster Front. Die wollte man augenscheinlich aus der Schusslinie ziehen. Mit freundlicher Unterstützung vieler anderer Parteien, die fast alle in der Vergangenheit Schlüsselpositionen bei Dexia mit ihren Leuten besetzt hatten. Gleiches gilt für beiden größten Dexia-Aktionäre: ARCO, finanzieller Arm der christlichen Arbeiterbewegung und CD&V-nahe, und die Gemeindeholding, gelenkt durch Lokalpolitiker.
Die Mehrheitsparteien hatten also nicht wirklich ein Interesse an einer lückenlosen Aufklärung der Ereignisse um Dexia, unterstellt die Opposition. Mit welchem Recht, so die Groen-Abgeordnete Meyrem Almaci, brummt die Mehrheit den Bürgern eine Rosskur auf, wenn sie auf der anderen Seite eine Untersuchung sabotiert, wo es um Milliarden geht?
Da man bekanntlich die Zeit ohnehin nicht zurückdrehen kann, formuliert der Sonderausschuss auch eine Reihe von Empfehlungen, eben um zu verhindern, dass sich eine solche Katastrophe wiederholt. Ein wichtiger Punkt: die Kontrolle. Wir brauchen in jedem Fall eine Prüfung von außen, glaubt der SP.A-Politiker Dirk Van der Maelen. Bislang war es doch so, dass wir im eigenen Saft schmorten: Man kennt sich eben in Belgien; das sei mit eine Erklärung dafür, dass man die Schieflage erst bemerkt habe, als es zu spät war.
Das Plenum der Kammer wird in dieser Woche über den Abschlussbericht der Dexia-Kommission debattieren.
Archivbild: Bruno Fahy (belga)