Die frostigen Temperaturen machen wohl jedem zu schaffen. Doch es gibt in der Regel eine Alternative: Wer der klirrenden Kälte entgehen will, der bleibt eben drinnen, zu Hause, im Büro, in der Schule.
Nicht alle haben aber diese Möglichkeit, Obdachlose etwa, die bei Wind und Wetter auf der Straße leben, leben müssen. Bei Temperaturen von minus zehn Grad oder noch weniger ist das lebensgefährlich.
Jene und solche
Es gibt anscheinend Obdachlose und Obdachlose. Es gibt jene Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, aber Belgier sind, die aufgrund etwa eines persönlichen Dramas oder eines üblen Spiels des Schicksals auf der Straße gelandet sind. Das sind offenbar die "guten Obdachlosen".
Und dann gibt es auf der anderen Seite noch jene, die einen Antrag auf Bleiberecht gestellt haben, der vielleicht noch in Bearbeitung ist, vielleicht auch schon abgewiesen wurde, Flüchtlinge, die nicht wissen wohin. Diese Menschen sind auch Obdachlose, aber dann doch eine andere Kategorie.
Dies alles zumindest nach der ursprünglichen Lesart der zuständigen Staatssekretärin für Asyl- und Einwanderungspolitik, Maggie De Block. Gerade einmal sechs Wochen im Amt hat diese OpenVLD-Politikerin in eindrucksvoller Weise vorexerziert, wie man es möglichst nicht machen sollte. Dass sie später in aller Demut zurückruderte und demonstrativ Mitgefühl an den Tag legte, ändert nichts an der ursprünglichen Feststellung: rein ideologisch motivierte Politik kann, in letzter Konsequenz, mitunter menschenverachtend sein.
Rechtsruck
Mitten in einer humanitären Krise packt De Block die Dogmatismus-Keule aus. Die OpenVLD will sich konsequent rechts positionieren, genau das Terrain zurückerobern, auf dem sich die N-VA breit gemacht hat. Also: in der Asylpolitik müssen künftig andere, härtere Saiten aufgezogen werden - auf Biegen und Brechen. Jetzt und sofort. Mit aller Entschlossenheit. Dann die These: zusätzliche Plätze in Auffangstrukturen zu schaffen, das sorge für einen Ansaugeffekt: Belgien wirke nach außen hin einmal mehr wie das Paradies auf Erden, ein Land, in dem Milch und Honig fließen, und das wiederum locke weitere Wirtschaftsflüchtlinge an. Also: keine zusätzlichen Betten in Notunterkünften. Punkt!
Über Sinn oder Unsinn der These vom Ansaugeffekt mag man streiten. De Block hat diese Argumentation jedenfalls zunächst knallhart zu Ende gedacht, quasi mit nordkoreanischer Konsequenz. Wäre es nach Maggie De Block gegangen, muss man ihr fast unterstellen, dass sie am Ende wohl noch Kältetote in Kauf genommen hätte, nur um ideologisch in der Spur zu bleiben. So weit ist es freilich - und zum Glück - nicht gekommen. De Block wurde vor den Ministerrat zitiert und zurückgepfiffen.
Mütterlicher Instinkt
Plötzlich schlug das Pendel in die andere Richtung aus, wurde Vollgas gegeben, musste improvisiert werden, wurden im Nu hunderte neue Schlafplätze für Obdachlose quasi aus dem Boden gestampft - für ALLE Obdachlosen wohlbemerkt -, gab die Staatssekretärin die Order aus, dass "niemand die Nacht im Freien verbringen dürfe", das könne sie als Ärztin und Mutter nicht verantworten. Wo war denn die mütterliche Medizinerin zwei Tage zuvor?
Am Ende gab's dann also doch noch Betten für alle. Wobei sich so mancher immer noch die Augen rieb, weil er einfach nicht verstand, warum aus der Sorge um Obdachlose heraus eine Diskussion über Asylpolitik entbrannt war. Die N-VA hatte der Staatssekretärin ja sogleich im Parlament vorgeworfen, nicht dazu in der Lage zu sein, den, so wörtlich, "Asylhahn" zuzudrehen. Grundsatzdiskussionen auf dem Rücken frierender Menschen - das nennt man intellektuelle Irrwege.
Obdachlose und Asylanten
Es will ja niemand leugnen, dass es zwischen dem Obdachlosenproblem insbesondere in Brüssel und der Asylproblematik einen Zusammenhang gibt. Die selbsternannten Aufräumer sollten aber bei allen Zukunftsplänen das Hier und Jetzt nicht aus den Augen verlieren: vielleicht sollten abgewiesene Asylbewerber, die keine Chance auf Bleiberecht haben, vielleicht sollten diese Menschen in der Welt der Maggie De Block und der strammen Rechten gar nicht mehr da sein. Nur, weil man dieser Ansicht ist, löst sich das Problem aber nicht in Wohlgefallen auf, nach dem Motto: "Wer gar nicht mehr in Belgien sein darf, nun, den gibt es eben auch nicht und dem muss man auch nicht helfen". Das nennt man Verblendung!
Das soll kein Plädoyer für eine Politik des laisser-faire sein. Ganz im Gegenteil! So wie jetzt kann es tatsächlich nicht weitergehen, da sollten sich die rechten und die linken Parteien einig sein. In einer Situation wie insbesondere in Brüssel gibt es nur Verlierer: zum einen die abgewiesenen Asylbewerber, denen de facto - wegen der blumigen Legenden über Belgien - falsche Hoffnungen gemacht wurden und die doch am Ende quasi nur im Untergrund leben können. Und zum anderen die Anlaufstellen für Bedürftige, deren Grenzen längst erreicht sind.
Baustelle
Die Asylpolitik ist zweifellos eine der wichtigsten Baustellen der Regierung. Ein Gleichgewicht zu finden in der Frage, wie viel Einwanderung moralisch, menschlich und nicht zuletzt auch ökonomisch nötig ist und wo man doch die Grenzen ziehen muss, das wird bestimmt nicht leicht. Zumal einige Parteien, insbesondere auf der linken Seite, mit der derzeitigen Grauzone gut leben konnten: niemand konnte ihnen ihre Haltung vorwerfen, es gab nämlich schlicht und einfach keine klare Linie.
Doch gleich wie sie am Ende ausgerichtet wird: es bedarf vor allem einer konsequenten Asylpolitik - klare Kriterien, klare Regeln, klare und vor allem auch zügige Prozeduren, und gegebenenfalls auch die Härte des Gesetzes. Die Diskussion über Asylpolitik muss geführt werden, und zwar schnell: je länger die Debatte im politischen Kabuff verrottet, desto extremer werden die jeweiligen Standpunkte. Ja! es bedarf einer Reform. Aber bitte ohne realitätsfernen ideologischen Dogmatismus, und bitte auch nicht ausgerechnet in einer humanitären Notlage auf dem Rücken frierender Menschen.
Bild: Kristof Van Accom (belga)