Es ist bereits der dritte Winter in Folge, dass in der Hauptstadt Belgiens und Europas Nacht für Nacht hunderte Menschen unter freiem Himmel frieren. Es sollen gar an die 1000 sein, doch genau weiß es niemand. Tatsache ist, dass man sich erst vor zwölf Monaten geschworen hatte, dass es so etwas nicht mehr geben sollte. Doch leider hat sich die Situation kaum gebessert.
Unter denen, die von dieser Notlage betroffen sind, unterscheidet man zwei Kategorien: Da sind zum einen die Obdachlosen, die größtenteils die belgische Nationalität haben, denen jedoch die Mittel fehlen, sich eine Wohnung zu leisten.
Und da sind zum anderen die Asylbewerber, die bei uns ein Bleiberecht beantragt haben, aber entweder noch auf eine Antwort warten, oder aber bereits abgewiesen wurden, doch noch nicht nach Hause zurückgekehrt sind. Insgesamt sind das etwa 3.000 Menschen, so weiß Laurent Van Hoorebeke zu berichten, darunter auch viele Familien, insbesondere Frauen mit Kindern.
Diese Personen, die kein Dach über dem Kopf haben, fallen zum einen den öffentlichen Sozialhilfezentren zur Last, oder aber den nicht regierungsgebundenen Organisationen, wie zum Beispiel Unicef, Caritas oder Oxfam, die alles in ihrer Macht stehende tun, damit möglichst viele von ihnen trotz Platzmangel doch noch einen warmen Schlafplatz finden.
Eigentlich ist es nicht ihre Aufgabe, sich auch noch um die obdachlosen Asylbewerber zu kümmern, für die eigentlich die Regierung, beziehungsweise die für ihre Betreuung zuständige Organisation Fedasil verantwortlich ist. "Wir üben schon eine Zeitlang Druck aus, damit die zuständige Staatssekretärin Maggie De Block ihrer Verantwortung entsprechend für neue Auffangplätze sorgt", so Anne Dussart, Sprecherin von SOS Auffang.
"Ansaugeffekt vermeiden"
Maggie De Block jedoch macht ihrem Namen alle Ehre und blockt ab. Zwar wollte sie dazu offiziell nicht Stellung nehmen, doch hatte sie dafür beim gestrigen Neujahrsempfang der Körperschaften im königlichen Stadtschloss eine Erklärung: "Wenn wir zusätzliche Auffangplätze für Asylbewerber schaffen, dann werden derer auch mehr zu uns kommen. Genau diesen Ansaugeffekt müssen wir vermeiden. Im Übrigen ist es so, dass sich unter denen, für die wir keinen Platz haben und die folglich im Freien schlafen müssen, viele befinden, deren Antrag abgewiesen wurde, und die eigentlich längst in ihr Herkunftsland hätten zurückkehren müssen. Dass sie das nicht getan haben, ist nicht unsere Schuld."
Im Prinzip mag sie zwar Recht haben, doch gibt es neben den karitativen Verbänden zum Glück noch Menschen mit Herz, die einfach nicht ansehen wollen, dass Eltern mit Kindern irgendwo die Nacht im Freien verbringen. Wie zum Beispiel ein Brüsseler Hotelbesitzer, der am Dienstag gleich zehn Familien für sechs Tage bei sich aufnahm. "Ich kann einfach nicht nach Hause gehen, wenn ich weiß, dass in meinem Hotel Zimmer leer stehen, während Eltern mit ihren Kindern bei diesen Temperaturen unter freiem Himmel schlafen."
Vielleicht war er es ja, der Staatssekretärin De Block dazu brachte, sich wenigstens soweit erweichen zu lassen, dass sie rund 60 zusätzliche Auffangplätze in der Kaserne des Luftwaffenstützpunktes Beauvechain freimachte. Aus humanitären Gründen will sie sich um solche Notlösungen auch in den nächsten Tagen kümmern, doch ist sie nicht bereit, die Zahl der bleibenden Auffangstellen für Asylbewerber zu erhöhen.
Landesweit gibt es derer im Augenblick fast 24.000. Das heißt 2000 Plätze mehr als vor einem Jahr und sogar 4000 mehr als vor zwei Jahren. Für die Staatssekretärin ist eine weitere Aufstockung nicht drin und wäre auch kontraproduktiv, weil dies, wie bereits gesagt, die Zahl der Asylbewerber nur noch weiter erhöhen würde. Maggie De Block hat sich als politische Marschroute das folgende Ziel gesetzt: Die Zahl der Asylbewerber zu beschränken, die Entscheidung über das Bleiberecht zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass die Abgewiesenen so rasch wie möglich in ihr Herkunftsland zurückkehren.
Von dieser Maxime will sie auch bei zehn Grad unter Null nicht abweichen. Das klingt zwar hart, ist aber in den Augen der Staatssekretärin unerlässlich, um den Zustrom von Asylanten nach Belgien einzudämmen. Es sieht also ganz danach aus, dass jene, die die Nächte zurzeit im Freien verbringen müssen, auf nicht regierungsgebundene und andere karitative Organisationen angewiesen sind, um - wenn sie Glück haben - ein Dach über dem Kopf zu finden. Da dies jedoch für alle nicht möglich sein wird, sollte man sich nicht wundern, wenn auch bei uns in den nächsten Tagen die ersten Kälteopfer zu beklagen sind.
Archivbild: Jorge Dirkx (belga)