Man sollte die Auswirkungen von Magnettes Aufforderung, die EU "solle ihre neoliberalen Scheuklappen" ablegen, "andernfalls komme es zu einer langjährigen Rezession", nicht zu hoch hängen - man sollte Magnette aber auch nicht vorschnell kritisieren.
Frau Turtelboom tönte, sie wolle jeden Deliquenten einsperren, Einwanderungsministerin Maggie de Block prangerte gleich einen Missbrauch ärzlicher Atteste an, Melchior Wathelet schaffte es mit BOB-Einsatz in die Schlagzeilen und lautem Nachdenken über eine 0,2-Promille-Grenze.
Ein weniger bekannter Minister suchte mit der Forderung nach Sprachprüfungen für Spitzenbeamte seinen Bekanntheitsgrad zu steigern - weshalb also Paul Magnette Gleichartiges verwehren? Zudem brauchen seine Wähler, die Parteibasis und globalisierungskritische Bürger ein Wundpflaster.
Klar doch, dass Di Rupo sich von den Äußerungen distanziert, gleichzeitig wird er ihm wohl für die innerparteiliche Aufgabenteilung dankbar sein. Umso mehr, da Magnette Di Rupo Hilfestellung gewährte: Nein, Di Rupo scheue keine Kommunikation, lässt sich Magnette todernst zitieren, Di Rupo kommuniziere ausschließlich in der Kammer. So übt sich Di Rupo in präsidialem Auftritt und lässt seine Minister vorerst schwadronieren - wie vor ihm Verhofstadt. Er kann es sich erlauben, weiß er doch, dass es das Regierungsabkommen ist, was zählt, - und das dieses keine Spielräume lässt.
Auch Olli Rehn weiß das, fiel seine Reaktion doch sehr verhalten aus: Man solle doch bitte nicht den Schiedsrichter kritisieren, ließ der EU-Kommissar verlauten. Wobei er nicht mal falsch liegt, ist die Kommission doch von Mercozy nur beauftragt und vom EU-Parlament ermächtigt. Man könnte das alles als Geplänkel und als Muskelspiele abtun, hätte Magnette nicht so recht. Natürlich droht Rezession, durch den verkürzten Blick auf die Staatsschulden als alleinige Problemverursacher. Gab es die nicht schon, als der Euro aus der Taufe gehoben wurde, und auch davor?
Doch sie sind der wunde Punkt, bei dem Teile eines entfesselten Kapitalmarkts zupacken können, in einer Währungszone die stark unterbewertete Euros zählt und gleichzeitig stark überbewertete Euros, je nachdem, ob sie aus Stuttgart kommen oder aus Lissabon. Und solange der Euro keine Währung ist, mit allem, was dazu gehört, also mit Eurobonds, als Schulden-und Kreditgemeinschaft in einer Transferunion und mit einer Zentralbank wie der US-amerikanischen FED, wird es auch so bleiben.
Ältere Zuhörer werden sich daran erinnern, woher der Euro kommt: Er fußt auf der European currency unit, abgekürzt ECU, und das heißt schlicht Rechnungseinheit. Eine Währung ist hingegen mehr, sowohl inhaltlich als auch ideell. Gewiss, am Ideal hat es dem Euro nicht gemangelt, damit konnte er es mit dem green buck, dem Dollar aufnehmen, und es ist tragisch, dass ausgerechnet der Euro innerhalb einiger Monate viele der Gräben in den Köpfen wieder aufgebrochen hat, die die Montanunion begonnen hatte zuzuschütten, mit ihrer genialen Vergemeinschaftung von kriegstreibender Kohle und Stahlindustrie . Unmittelbar gefolgt von der EWG mit der tragfähigen Basis guter Nachbarschaft. Vertieft durch die EG mit ihrem epochemachenden Signal grenzüberschreitender partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit fühlbaren und sichtbaren Inhalten wie ärztlicher Versorgung oder polizeilicher Nacheile.
Danach wurden die Grundlagen dogmatischer. Kein Wunder, dass die Politik lieber von einer Schuldenkrise spricht als von einer Eurokrise oder über die demokratische Legitimation der getroffenen Entscheidungen nachdenkt. Wir sollten Magnette dafür dankbar sein, dass er vor drohenden Denkverboten warnt.
Archivbild: Bruno Fahy (belga)