Das Salduz-Gesetz sieht vor, dass ein festgenommener Täter gleich ab dem ersten polizeilichen Verhör das Recht auf den Beistand durch einen Anwalt hat.
In der Hauptstadt liegt das große Problem einfach darin, dass es in Brüssel zum einen zu viele Personen gibt, die Tag für Tag in Folge einer Straftat von der Polizei festgenommen werden, und zum anderen zu wenig Anwälte, um den Verdächtigen ab dem ersten polizeilichen Verhör zur Seite zu stehen.
Hinzu kommt noch die Ausdehnung der Stadt Brüssel, die die Anwälte zwingt, mitunter große Entfernungen zurückzulegen, was vor allem im Berufsverkehr viel Zeit erfordert, bevor sie dort eintreffen, wo die Tat geschehen ist bzw. das erste Verhör stattfindet.
Vorbild Mons
Eine Lösung wäre, diese Verhöre zu zentralisieren, das würde die Sache auf jeden Fall erleichtern. Doch bisher hat sich das als unmöglich erwiesen, weil die Verantwortlichen der sechs Brüsseler Polizeizonen nicht bereit sind, die Verhöre an einem Ort stattfinden zu lassen. Die Bürgermeister der 19 Gemeinden Brüssels könnten sie zwar dazu zwingen, haben dies jedoch bisher nicht getan. In anderen Städten, wie zum Beispiel in Mons, funktioniert dieses System bisher sehr gut, doch in Brüssel lässt es sich zumindest bisher nicht anwenden, weil die Polizei selbst damit nicht einverstanden ist.
In den letzten Tagen hat es in Brüssel eine Reihe von Fällen gegeben, wo man die Festgenommenen wieder laufen ließ, weil gerade kein Anwalt zur Verfügung war. Das bedeutet nicht unbedingt, dass diese Personen straffrei ausgehen, aber es kann durchaus so sein. Im Prinzip ist es so, dass ein Festgenommener, für den beim ersten Verhör kein Anwalt zur Verfügung, bei der Polizei seine Identität und seine Fingerabdrücke hinterlassen muss. Er wird dann aufgefordert, sich einige Tage später wieder zu melden, sobald man einen Anwalt für ihn gefunden hat.
Diese Vorgehensweise beinhaltet allerdings die Gefahr, dass der vorläufig Freigelassene sich nicht wieder meldet und auf Tauchstation geht. Außerdem wird ihm damit eine Möglichkeit geboten, sich mit eventuellen Mittätern abzusprechen, sich ein Alibi zu besorgen oder eventuelle Beweisstücke verschwinden zu lassen. Kurzum, es ist klar, dass dieses Vorgehen, das sozusagen aus der Not geboren wurde, alles andere als optimal ist und einer gewissen Manipulation von Straftaten Vorschub leistet.
Bei besonders schweren Vergehen muss die Polizei allerdings die Brüsseler Staatsanwaltschaft kontaktieren, und die entscheidet dann, ob der Festgenommene in Haft bleibt. In Betracht kommt dies jedoch nur in ganz besonders schweren Fällen. Um die Dinge zu vereinfachen, hat die Brüsseler Staatsanwaltschaft eine Liste von 51 Delikten erstellt, bei denen der Täter in Ermangelung eines Anwalts nach Feststellung seiner Identität vorläufig freigelassen werden darf, und zu diesen Delikten gehören immerhin so schwerwiegende Vergehen wie Diebstahl, Drogen- und Waffenbesitz sowie Hehlerei.
Empörte Reaktionen
Sowohl von der Justiz selbst als auch aus dem politischen Bereich, und zwar vor allem aus Flandern, kam bereits deutliche Kritik. Sie lässt sich in der Feststellung zusammenfassen, dass diese Handhabung des Salduz-Gesetzes einer gewissen Straflosigkeit Vorschub leistet und bei den Tätern das Gefühl, sich alles erlauben zu können, begünstigt. Daher der Appell an Justizministerin Turtelboom, unverzüglich einzugreifen. Daraufhin hat diese wissen lassen, sie wolle sich das Ganze für eine Testperiode von einem Monat lang ansehen, und dann eine abschließende Bewertung vornehmen. Sollten sich die Dinge bis dahin nicht zur Zufriedenheit lösen, müsse man eben nachbessern.
Archivbild: belga