Keine Frage, der Streik war von der Beteiligung her ein Erfolg, besonders in der Wallonie und Brüssel. Und auch die Folgen der Aktion waren wohl ganz im Sinne der Gewerkschaften, die sich zufrieden sagen konnten: Rien ne va plus. In der Tat standen zumindest die öffentlichen Verkehrsmittel weitgehend still.
Doch was bringt uns das? Der durch die weltweit längste Regierungskrise arg lädierte Ruf Belgiens im Ausland ist dadurch sicher nicht besser geworden. Im Gegenteil.
Und die Rentenreform, gegen die sich diese Protestaktion richtete, ist die jetzt vom Tisch? Absolut nicht, sie wird kommen, denn weniger als 12 Stunden nach Ende des Streiks wurde sie heute früh in der Kammer verabschiedet. Lediglich über gewisse Anwendungsmodalitäten ist die Regierung bereit, noch mal mit sich reden zu lassen. Am Prinzip der Reform wird sich nichts ändern, so ließ der zuständige Pensionsminister Van Quickenborne im Namen der Regierung wissen. Und das heißt im Klartext: an der geplanten Einsparung gibt es nichts zu rütteln, die muss auf jeden Fall erzielt werden. Die Anpassungen, die die Gewerkschaften noch durchzusetzen hoffen, werden folglich kaum mehr sein können als einige kosmetische Retuschen, die nicht den Inhalt, sondern die Anwendung der Reform betreffen werden.
Die Regierung ist zur Rentenreform gezwungen
Mehr wird kaum drin sein, weil es einfach unmöglich ist. Die Regierung steht schlicht und einfach mit dem Rücken zur Wand. Sie muss nächstes Jahr gut elf Milliarden Euro auftreiben, ob sie das will oder nicht. Spaß macht ihr das ganz bestimmt nicht, aber die Krise, die Rettung der Staatsfinanzen und die Absicherung der Sozialen Sicherheit sowie nicht zuletzt die von Europa auferlegten Haushaltszwänge lassen Di Rupo und seinen Ministern überhaupt keine andere Wahl. Jetzt nicht zu sparen, bedeutet nichts anderes, als dem Land und seiner Bevölkerung die Zukunft total zu verbauen, oder, anders ausgedrückt, Belgien innerhalb kürzester Zeit dorthin zu führen, wo Griechenland bereits angekommen ist.
Das will natürlich niemand, auch nicht die Gewerkschaften. Also müssten sie eigentlich einsehen, dass wir nicht daran vorbeikommen werden, in den sauren Apfel zu beißen, den die Regierung uns zurzeit zwangsweise präsentiert. Wenn sie trotzdem zum Streik aufgerufen haben, dann ist das wahrscheinlich weniger auf den Inhalt des Reformpakets als auf die Vorgehensweise der Regierung zurückzuführen. Auf dieses alles plattwälzende Hauruckverfahren, durch das die Gewerkschaften sich vollkommen ausgeschaltet und überfahren fühlen.
Die Regierung als Elefant im Porzellanladen
Dafür muss man Verständnis aufbringen, denn die Regierung hat sich in dieser hochsensiblen Angelegenheit, statt mit Psychologie und Fingerspitzengefühl zu agieren, genau wie der Elefant im Porzellanladen benommen. Dass die Gewerkschaften sich das nicht gefallen lassen würden, das hätte der Pensionsminister, auch als Neuling auf diesem Gebiet, wissen müssen. Gerade in einem Land wie Belgien, in dem der Dialog, die sogenannte Konzertierung zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften, seit Jahrzehnten das A und O des sozialen Friedens darstellt, kann es sich niemand leisten, zur Brechstange zu greifen, indem man die Vertreter der Arbeitnehmerschaft vor vollendete Tatsachen stellt.
Leider jedoch ist dies bei der Rentenreform geschehen, angeblich weil keine Zeit zu verlieren war. Letzteres mag zum Teil stimmen, doch selbst wenn die Zeit äußerst knapp bemessen ist, gebieten es sowohl der Anstand als auch die hierzulande geltenden Spielregeln, dass man die Gewerkschaften, als die Interessenvertreter der betroffenen Arbeitnehmer, wenigstens informiert und konsultiert.
Vergeblich und vermeidbar
Hätte die Regierung sich daran gehalten, dann wäre ihr vielleicht nicht nur der Sturm der gewerkschaftlichen Entrüstung erspart geblieben, sondern es wären auch zahlreiche Missverständnisse aus der Welt geschafft worden, die in einem nicht unerheblichen Maß für den gestrigen Streik verantwortlich waren.
Schade, dass durch einen Formfehler ein Streik vom Zaun gebrochen wurde, der ebenso vermeidbar wie vergeblich war.
Vergeblich deshalb, weil er an den grundlegenden Inhalten der Rentenreform wohl kaum etwas ändern wird. Und vermeidbar, weil die Regierung zwar hinsichtlich Diagnose und Rezept richtig liegt, letzteres jedoch in einer total unverdaulichen Form verabreicht hat.
Unsere Regierung hat übereifrig und überstürzt ein nötiges Gesetz verabschiedet.
Der BRF hat gestern übereifirg einen nötigen aber unangemessen Protest unterstützt.