Belgien droht damit also eine saftige Geldbuße von der EU, ganz zu schweigen, dass wohl auch die viel beschworenen Finanzmärkte wohl dem belgischen Theater nicht mehr lange apathisch zuschauen werden. Das Ganze ist längst kein gewöhnliches Pokerspiel mehr, denn der Einsatz ist zu hoch: Es geht nämlich um nicht weniger als die Zukunft des Landes.
Wat mutt, dat mutt
Wat mutt, dat mutt heißt es in Köln, der wohl belgischsten deutschen Stadt: Einen Haushalt zu schnüren, das braucht Zeit. Zumal wenn es darum geht, Reformen anzupacken, die mitunter seit Jahrzehnten überfällig sind. Das macht man nicht über Nacht. Klar. Verständlich. Nachvollziehbar.
Irgendwann aber muss man auch zur Einsicht kommen, dass Grenzen erreicht, nein, längst überschritten sind. Man kann sich jedenfalls nur wundern - oder, wahlweise, "jedes Haar einzeln ausreißen" - angesichts der Tatsache, dass sich jetzt, anderthalb Jahre nach der Wahl, genau die Gräben auftun, von denen jeder, aber wirklich jeder längst wusste.
Sozialisten und Liberale sind sich nicht über die sozio-ökonomischen Weichenstellungen einig? Na, das ist ja mal ganz was Neues! Hier hat man es offensichtlich monatelang dem Kleinkind gleichgetan, das die Augen verschließt und glaubt, es sei unsichtbar.
Die Brüsseler Verhandlungspartner um Regierungsbildner Di Rupo – seit Monaten eingesperrt in ihren Brüsseler Büroräumen - scheinen aber auch sonst jeglichen Bezug zur Realität verloren zu haben. Während es in der Eurozone an allen Ecken und Enden brennt, streitet man sich hierzulande über das Löschwasser - und löscht kurzerhand das längst im Unterholz schwelende Feuer... erstmal gar nicht.
Schluss mit lustig
Und bislang hat ja die Außenwelt die eigentümliche belgische Luftnummer immer noch mit einem wohlwollenden Lächeln quittiert. Narrenfreiheit - mit Verlaub - im wahrsten Sinne des Wortes. Inzwischen ist aber niemandem mehr zum Lachen zumute, wohl auch nicht mehr dem belgischen EU-Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy. Jetzt stimmen plötzlich auch die Basisdaten der belgischen Wirtschaft nicht mehr. Jetzt steigen auch die Zinsen für belgische Staatsanleihen in schwindelnde Höhen. Jetzt bekommt der Kahn Schlagseite. Jetzt ist... Schluss mit lustig.
Den Schlusspfiff scheinen die Brüsseler Laiendarsteller aber irgendwie überhört zu haben. Der Optimist würde ihnen dafür vielleicht noch "Nerven wie Drahtseile" bescheinigen. Leider zwingt sich aber eher der Verdacht auf, dass hier eine Pokerpartie im Gange ist, bei der der Einsatz ins Unermessliche gestiegen ist. Treffender wäre vielleicht: "Russisch Roulette mit voller Trommel".
Die Schuldfrage zu stellen, ist müßig. "Hat die OpenVLD als Wahlverlierer und zudem als die Partei, die sich mit ihrer "Stecker-raus-Politik" der Ursünde schuldig gemacht hat, hat diese Partei das Recht, die Verhandlungen zu blockieren?", mag man sich fragen. Ebenso legitim wäre die Frage, ob die PS nicht den Bogen überspannt, eben indem sie immer wieder versucht, die Hauptlast auf den Mittelstand abzuwälzen, der erwiesenermaßen mehrheitlich in Flandern wohnt. Di Rupo muss wissen, dass er damit seine flämischen Partner der N-VA ans Messer liefert, die genau das prophezeit hatte, nämlich, dass am Ende in vorderster Front Flandern die Zeche zahlt.
Auch die Angst ist kollektiv
Nein, man darf davon ausgehen, dass PS und OpenVLD jeweils stellvertretend für andere stehen, das sagen, was andere denken. Das Versagen kann – wie immer in solchen Unterfangen - nur kollektiv sein. Und kollektiv ist noch etwas: die Angst.
Die Angst davor, von seiner jeweiligen Klientel ans Kreuz genagelt zu werden. Denn eins ist sicher: Niemand, wirklich niemand in diesem Land ist vorbereitet, ist bereit für das, was da kommen wird. Niemand ist gewillt, auch nur ansatzweise die Rechnung zu bezahlen. Nicht die Arbeitgeber, die die künftige Koalition mit drastischen Worten vor Steuererhöhungen gewarnt haben, und auch nicht die Gewerkschaften. Die FGTB-Metaller schreiben schon das Drehbuch für eine Serie von Generalstreiks, die am Ende gar 72 Stunden dauern sollen. In puncto Realitätsverweigerung sind die Politiker also eigentlich nur das Spiegelbild ihrer Wähler. Oder umgekehrt.
Man mag da auch noch so viel Verständnis haben für die Occupy-Bewegung, jene "Indignados", jene Empörten. Klar haben sie Recht, wenn sie gegen die Macht der Banken und den wildgewordenen Kapitalismus zu Felde ziehen, wenn sie die schreienden Ungerechtigkeiten anprangern, die Entmenschlichung eines von Menschen geschaffenen Systems. Das ändert aber nichts daran, dass auch Belgien – bekanntlich keine Inseln - bis auf weiteres ein Gefangener eben dieses Systems ist.
Die belgische ist die europäische Wirklichkeit
Bis zum Beweis des Gegenteils ist die belgische Wirklichkeit die europäische, die eines Mitglieds der Eurozone, und, ganz nebenbei gesagt: die Wirklichkeit eines Landes, das jahrzehntelang seinen Wohlstand auf Pump finanziert hat. Ähnlich wie gewisse Banken ihre Kunden nicht über die Risiken ihrer Produkte aufklärten, haben auch die Parteien ihren Wählern die Wahrheit verschwiegen. Und die lautet: Irgendwann ist die Party vorbei, irgendwann geht's ans Aufräumen. Und jeder, der mitgefeiert hat, bekommt jetzt einen Besen in die Hand gedrückt. Wichtig ist da allerdings das Wörtchen "jeder", und das scheint nicht in die Köpfe von Sozialisten respektive Liberalen zu gehen: jeder muss zahlen, das heißt bekanntlich: alle.
Man mag es bedauern, anprangern, verteufeln, aber Belgien entscheidet nicht allein über sein Schicksal und das seiner Bürger. Und deswegen ist es auch unsinnig, weil letztlich zwecklos, wenn da der eine oder andere an Tabus aus einer anderen Zeit festhält: Belgien wäre etwa gut beraten, die Lohn-Index-Bindung zumindest mal einer grundlegenden Überlegung zu unterziehen - auf die Gefahr hin, dass sie am Ende doch ganz verschwindet.
Beispiele wie Italien oder Griechenland zeigen, was passiert, wenn die lokale Politikerkaste nicht zeitig genug Verantwortung übernimmt: Dann wird sie am Ende entmündigt, wird das Land endgültig fremdgesteuert, was einer Bankrotterklärung der Demokratie gleichkommt. Ein Land wie Belgien kann sich dieser gnadenlosen Logik nicht entziehen. Die Tage des belgischen Sonderweges und auch der halbherzigen Maßnahmen sind gezählt, und vor allem: die Politik kann und darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, auf die Gefahr hin, sich selbst abzuschaffen. Wat mutt, dat mutt.
Verankert in der Verfassung einen Passus der den politischen Parteien die finanziellen Konsequenzen ihrer "Schelligkeit" aufbürdet.
ALLE Parteien müssten dann für die Folgen ihrer Inkompetenz aufkommen, dass würde Ihnen zumindest zu denken geben.
Das Geldsystem ist von Menschen gemacht. Es liegt an uns es so zu verändern, dass es allen Menschen dient. Michael Ende -
“Hat die OpenVLD als Wahlverlierer und zudem als die Partei, die sich mit ihrer “Stecker-raus-Politik” der Ursünde schuldig gemacht hat, hat diese Partei das Recht, die Verhandlungen zu blockieren?”, mag man sich fragen.
Ja, das mag man sich zu recht fragen, und die Antwort auf die Frage ist ein riesengroßes NEIN! Die OpenVLD und auch der MR haben keinerlei Recht irgendwelche Forderungen zu stellen, und diese beiden Parteien sollten im Grunde auch überhaupt nicht an der Regierungsbildung beteiligt sein! Das waren die Wahlverlierer!! Welcher Irrwitz hat nur Groen und Ecolo geritten, dass sie ihren Wahlsieg und ihre Wählergunst so billig wegwerfen?!
"wenn die lokale Politikerkaste nicht zeitig genug Verantwortung übernimmt: Dann wird sie am Ende entmündigt, wird das Land endgültig fremdgesteuert, was einer Bankrotterklärung der Demokratie gleichkommt."
In der EU gibt es doch überhaupt keine Demokratie, d.h. Trennung der Gewalten, Mehrheitsrecht, Gesetzgebungshoheit beim Parlament, usw.! Wann hören wir endlich auf mit dieser Irreführung und Scheinheiligkeit! Die EU ist da um die Profite der Wirtschafts- und Bankenkonzerne zu garantieren, Alles Andere ist irreführendes Vertuschungsbrimborium - und dazu auch noch ein sehr Kostspieliges!
Wir sollten Alle sehr viel mutiger werden, die "Occupy-Bewegung" macht es uns doch vor! Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass wir alle eine vernünftige Politik nur auf der Straße einfordern können, und dass wir dann auch Erfolg haben werden!
wo der Meyer Recht hat da hat er Recht...