Lange wird es jetzt wohl bis zum Amtsantritt der Regierung Di Rupo nicht mehr dauern. Insgeheim hofften die Unterhändler noch vor wenigen Tagen dem Parlament zum Auftakt der neuen Sitzungsperiode am 11. Oktober das neue Kabinett mit der Regierungserklärung präsentieren zu können. Das wäre sicherlich der Idealfall gewesen, aber das ist nach den jüngsten Verzögerungen wahrscheinlich nicht mehr drin.
Die Verhandlungen sind zwar weit fortgeschritten, doch es bleibt auch noch einiges zu tun. Zunächst gilt es festzulegen, ob alle acht Parteien, die bisher verhandelt haben, die neue Regierung bilden werden oder ob die Grünen von Ecolo und Groen, sozusagen im letzten Augenblick, auf die Oppositionsbank verwiesen werden. Das wünschen vor allem die flämischen Liberalen und Christdemokraten, die eine zu linkslastige Regierung befürchten, sollten die Grünen dabei sein.
Ihre Präsenz hätte andererseits den Vorteil, dass die neue Koalition im Parlament auch auf der flämischen Seite über eine Mehrheit verfügen würde, die zwar nich unerlässlich ist, aber wünschenswert.
Die Kehrseite der Medaille ist, dass es auf der frankophonen Seite, mit Ausnahme der drei FDF-Abgeordneten, keine Opposition mehr gäbe. Das wäre ein Novum, doch könnte man es mit dem Argument rechtfertigen, dass die großen Reformen des Regierungsprogramms von einer größtmöglichen Basis getragen werden.
Mal sehen, was aus den Grünen wird: Bestandteil der Regierung oder der Opposition. Das wird sich in den nächsten Tagen, vielleicht schon an diesem Wochenende, entscheiden.
Den Gürtel enger schnallen
Sobald diese Frage geklärt ist, wartet bereits die nächste schwere Hürde, nämlich der Staatshaushalt des nächsten Jahres und die damit verbundene sparpolitische Rosskur zur Einsparung von mindestens acht, vielleicht sogar 10 Milliarden Euro allein im kommenden Jahr und rund 22 Milliarden bis 2015. Somit gibt es nicht den geringsten Zweifel: Angesagt ist "Gürtel enger schnallen".
Die letzten Hürden werden vielleicht nicht die schwersten sein, doch man sollte sie auch nicht unterschätzen. Das Zusammengehen von Liberalen und Sozialisten hatte die PS-Ministerin Onkelinx schon unter der Regierung Leterme als eine "coalition contre nature", eine Art widernatürliche Koalition bezeichnet, und sie wusste, wovon sie sprach.
Liberale neigen eher dazu, den Rotstift anzusetzen, das heißt zu sparen, auch in den staatlichen Sozialleistungen, wie zum Beispiel beim Arbeitslosengeld oder der Krankenversicherung.
Sozialisten tendieren hingegen dazu, die Einnahmen, das heißt die Steuern zu erhöhen, insbesondere für jene, denen man das ihres Erachtens zumuten kann. Nicht von ungefähr war in letzter Zeit des öftern von einer Reichensteuer und einer Steuer auf Finanztransaktionen, sprich spekulative Börsengeschäfte, zu hören.
Hierbei den goldenen Mittelweg zu finden, mit dem beide Seiten leben können, wird nicht einfach sein. Da wird ein Di Rupo wohl einmal mehr sein ganzes Verhandlungsgeschick aufbieten müssen.
Wer allerdings schon so viel erreicht hat, wie bisher erreicht wurde, der wird auch diese letzten Hindernisse noch überwinden, zumal die beiden Extreme in den gemeinschaftspolitischen Fragen, nämlich N-VA und FDF, sich sozusagen selbst ausmanövriert haben.
Die Chance, zu einem "normalen" Land zu werden
Nicht übersehen darf man einen zuversichtlich stimmenden Aspekt nach einem politischen Ringen von fast 500 Tagen. In dieser Zeit ist es zumindest gelungen, mit BHV, dem Finanzierungsgesetz und der nun auch näher rückenden Kompetenzerweiterung der Teilstaaten, jene Brocken aus dem Weg zu räumen, die die belgische Politik über Jahre hinweg vergiftet und vor allem die letzte Regierung Leterme während drei Jahren so gut wie handlungsunfähig gemacht haben.
Konkret ist damit gemeint, dass die neue Regierung sich jetzt hoffentlich mal jenen Problemen widmen kann, die den Leuten wirklich unter den Nägeln brennen, wie der Sanierung des Haushalts, der Eurokrise, den Arbeitsplätzen, der Sicherheit im Alltag, den Asylbewerbern, und zwar ohne ständig von dem endlosen Hickhack um die Spaltung eines Wahlbezirks oder die Ernennung von drei Bürgermeistern in der Brüsseler Peripherie gelähmt zu werden.
Es besteht jetzt die berechtigte Hoffnung, dass Belgien in den Augen seiner europäischen Partner zu einem normalen Land wird, das sich auf der internationalen Szene mit seinen flämisch-wallonischen Sticheleien und Querelen nicht dauernd lächerlich macht.
Und noch wichtiger: Den internationalen Finanzmärkten wird nicht entgangen sein, dass in Brüssel eine Einigung erzielt wurde, die den Fortbestand des Landes vielleicht nicht uneingeschränkt garantiert, wohl aber in einem viel positiveren Licht erscheinen lässt, als bisher. Dem Zinsniveau auf Belgiens Anleihen müsste dies jedenfalls zu gute kommen.
Und zum Schluss noch diese Überlegung: Wenn es der neuen Regierung Di Rupo tatsächlich gelingen sollte, das Land aus dem fast schon permanenten Würgegriff flämisch-wallonischer Gegensätze zu befreien, dann ist es durchaus denkbar, dass der bislang ununterbrochene Vormarsch der flämischen Nationalisten von der N-VA gestoppt wird und die Wähler die gemäßigten Parteien, die nicht die Spaltung sondern den Kompromiss gesucht und gefunden haben, bei der nächsten Wahl dafür belohnen werden.
Dies wird nicht die letzte Staatsreform gewesen sein.
Mit Sicherheit nicht. Das Land wird wohl eine ewige Baustelle bleiben.
Da können wir nur hoffen das diese langwierige Prozedur bald ein Ende hat.