"Es war höhere Gewalt", sagte SNCB-Chef Marc Descheemaeker sinngemäß in der VRT. Diese Verkettung unglücklicher Umstände sei einfach unfassbar gewesen, sagte Descheemaeker. So etwas quasi Unmögliches werde sich in den nächsten 20-30 Jahren wohl kaum wiederholen.
"Höhere Gewalt?" Mit dieser Erklärung wollten sich die Abgeordneten im zuständigen Kammerausschuss allerdings nicht zufrieden geben. Drei Stunden lang wurde die Föderalministerin für Staatsbetriebe, Inge Vervotte, mit Fragen gelöchert. Der Tenor: So kann's nicht weitergehen!
Sie könnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Feststellungen machen, sagte Vervotte in der VRT. Zum Beispiel diese: Was am Montag passiert sei, könne man wirklich als eine Verkettung unglücklicher Umstände umschreiben. Allerdings: Man sollte versuchen, derlei Ereignisse zu vermeiden. Naja, und wenn's doch dazu kommt, sollte man zumindest in der Lage sein, angemessen darauf zu reagieren.
Probleme vorprogrammiert?
Zugegeben: Am Montag, das war ein bisschen viel auf einmal: der Bruch einer Oberleitung an einer strategisch wichtigen Stelle, dann noch ein liegengebliebener Zug ausgerechnet im Brüsseler Zentralbahnhof, gekoppelt mit einer ganzen Reihe anderer lokaler Probleme: Das kann einen Fahrplan schonmal mächtig durcheinanderwirbeln.
Doch stellen sich Fachleute und Parlamentarier die Frage, inwieweit derlei Probleme vorprogrammiert sind. Es ist bekannt, dass die belgischen Lokomotiven ab einer gewissen Außentemperatur mit einem Mal sehr störungsanfällig werden. Gebrochene Oberleitungen sind im Sommer und auch Winter nicht wirklich außergewöhnlich.
Vervotte geht mit dieser Feststellung betont offensiv um: Man müsse den Realitäten ins Auge blicken. Die Bahn werde zum Opfer ihres Erfolgs. Auf der einen Seite nehme die Zahl der Reisenden stetig zu, auf der anderen Seite sei die SNCB über Jahre hinweg unterfinanziert gewesen. Und diesen Investitionsstau könne man jetzt nicht über Nacht aus der Welt schaffen.
Die Reisenden informieren
Nicht funktioniert hat die Kommunikation. Die gestrandeten Reisenden wussten mitunter stundenlang nicht, was los ist, geschweige denn, wie sie denn jetzt zu ihrem Bestimmungsort gelangen würden. Dieses Problem gibt auch SNCB-Chef Descheemaeker offen zu: "Ja, in der Tat, wir schaffen es noch immer nicht, die Reisenden im Problemfall vernünftig zu informieren."
Auch dieses Kommunikationsproblem bei der Bahn ist nicht wirklich neu. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob das nicht auf die Struktur der SNCB zurückzuführen ist: eine dreiköpfige Hydra, bestehend aus der SNCB-Holding und ihren zwei Töchtern: der Transportsparte, die immer noch SNCB heißt, und dem Infrastruktur-Betreiber Infrabel. Hier wisse die rechte Hand häufig nicht, was die linke tue, so ein oft gehörter Vorwurf.
Dass es da Reformbedarf gebe, das sei längst offensichtlich, sagte die zuständige Ministerin Vervotte. Nur gebe es da ein Problem: Die Regierung sei nur geschäftsführend im Amt und deswegen handlungsunfähig. Nur könne und werde sie nicht ewig warten: Sollte dieser Zustand noch länger andauern, dann werde sie das Parlament darum bitten, ihr ein Mandat zu geben, um eine Reform der SNCB anzustoßen.
Und auch SNCB-Chef Descheemaker räumt ein, dass das Kompetenzgerangel aufhören müsse: Ob nun die SNCB, die Holding oder Infrabel gefragt seien, die Reisenden müssten im Mittelpunkt stehen. Eine - wie auch schon die Zeitung "De Standaard" bemerkte - "erstaunliche" Überlegung: Die Reisenden sollten im Mittelpunkt stehen. Nun, davon wäre man bei einem Unternehmen wie der Bahn eigentlich ausgegangen.
Bild: Kurt Desplenter (belga)