Man kann die N-VA nun mögen oder nicht. Olivier Maingain, der Chef der frankophonen FDF, mag die Partei von Bart De Wever ganz offensichtlich nicht. Und das beruht eigentlich auf Gegenseitigkeit.
Das ist im Grunde nichts Neues und auch nicht sehr verwunderlich: FDF und N-VA betrachten sich gegenseitig quasi als politisches Feindbild Nummer 1. Vor allem, wenn's um die Zukunft von Brüssel und dem Brüsseler Rand geht, sind FDF und N-VA quasi Gegenentwürfe: Sagt der eine schwarz, poltert der andere weiß.
Die FDF sieht sich als Verteidiger der Frankophonen in den Brüsseler Randgemeinden und im gesamten Bezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde, die N-VA will ebendort die Spracherleichterungen für diese Frankophonen abschaffen.
Klar, dass beide Parteien immer mal wieder aneinander rasseln. Meist wirft man sich dann gegenseitig eine Reihe von Nettigkeiten an den Kopf, und dann ist's wieder gut – für eine Zeit ... Diesmal könnte es aber fast so aussehen, als lege FDF-Chef Maingain einen lupenreinen verbalen Amoklauf hin. Seit einer Woche wird er nicht müde, die N-VA und ihren Chef zu attackieren, wo und wie es nur geht. Dabei wird das Register von Verbalattacke zu Verbalattacke schärfer.
Die Kunst des Sich-Steigerns
Am vergangenen Samstag war die N-VA immerhin schon "eine Bedrohung für die Demokratie", am Mittwoch verglich Maingain die Partei und deren Vorsitzenden Bart De Wever dann mit Rechtspopulisten nach dem Vorbild von Lega-Nord-Chef Umberto Bossi oder dem inzwischen verstorbenen österreichischen FPÖ- Chef Jörg Haider. Und er bleibe dabei, sagte Maingain einen Tag später in der Zeitung Le Soir.
Begründung: De Wever habe schließlich Jean-Marie Le Pen die Hand gedrückt und sei auch auf der Beerdigung von Karel Dillen gewesen, also des Gründers der rechtsextremen Vlaams Blok. Und De Wever habe schließlich auch den Holocaust geleugnet. Bei all dem frage man sich, wie Medien und Beobachter denn reagieren würden, wenn ein anderer Parteipräsident so etwas machen würde.
De Wever und der Holocaust !?
Wie bitte? De Wever, ein Holocaust-Leugner?, wird sich so mancher Leser von Le Soir gefragt haben. Nun, Maingain fügt in Le Soir erklärend hinzu, dass es sich hier um den Vorwurf handele, den auch unter anderem schon der Schriftsteller Pierre Mertens geäußert habe.
Und das grenzt den Kontext ein. Diese Episode liegt einige Jahre zurück. 2007 bittet der Antwerpener Bürgermeister Patrick Janssens offiziell um Vergebung für die Haltung der Antwerpener Stadtbehörden während der deutschen Besatzung, insbesondere wegen der Rolle der Antwerpener Polizei bei der Deportation von Antwerpener Juden im Jahr 1942.
De Wever hatte Janssens für seine Entschuldigung öffentlich kritisiert. Antwerpen sei auch das Opfer der Nazi-Herrschaft gewesen. Gewisse Entscheidungen seien unter Zwang getroffen worden. Die Entschuldigung von Janssens sei unbegründet, gratis formuliert.
Der Brüsseler Schriftsteller Pierre Mertens bezeichnete Bart De Wever daraufhin in einem Artikel, der in der französischen Zeitung "Le Monde" erschienen ist, als, so wörtlich, "durch und durch negationistisch". Und "negationistisch" ist tatsächlich gleichbedeutend mit der Leugnung oder Verharmlosung eines Völkermords, insbesondere des Holocausts. De Wever hatte Mertens übrigens wegen übler Nachrede verklagt. Die zuständige Ratskammer hat sich erst vor einigen Wochen zunächst vertagt.
Offener (Wahl)-Krieg?
Um auf Maingain zurückgekommen: Der beruft sich also auf diesen Vorfall, um De Wever dann wörtlich zu unterstellen, der N-VA-Chef leugne die Shoah. Nicht ohne Grund sprach die Zeitung "De Standaard" denn auch schon von einem "offenen Krieg" zwischen N-VA und FDF.
De Wever selbst reagierte betont besonnen auf den verbalen Kinnhaken: Einen politischen Widersacher zu kriminalisieren, und ihn dabei sogar mit den schlimmsten Verbrechen der Geschichte in Verbindung zu bringen, das gehe dann doch entschieden zu weit, lässt sich De Wever zitieren. Die anderen Parteien mögen sich doch bitte von Maingain distanzieren.
Dass er unlängst noch Maingain die Einnahme von Medikamenten empfohlen hatte, - nun ja, wie er hinzufügte, "er sei aber leider kein Arzt" – nun, das sei als Witz gedacht gewesen, sagte De Wever.
Es ist übrigens auch nicht das erste Mal, dass Maingain drastische Vergleiche bemüht. Wiederholt hat er die Haltung der flämischen Regierung und insbesondere der N-VA in Bezug auf die nicht ernannten Bürgermeister in einigen Brüsseler Randgemeinden mit den Zuständen unter deutscher Besatzung verglichen. Das letzte Mal war das im März vergangenen Jahres. Keinen Monat später stürzte die Regierung.
Vielleicht, so könnte man meinen, hat Maingain ja ein feines Gespür für anstehende Neuwahlen. Beobachter sind sich jedenfalls einig, dass Maingains Feldzug gegen die N-VA ganz klar Züge von Wahlkampfgetöse trägt. Das erklärt vielleicht auch, dass der Negationismus-Vorwurf eigentlich – man könnte sagen - allgemein eher ignoriert wird.
Tout ce qui est excessif ...
Möglicherweise hat man sich aber trotz des längst überreizten gemeinschaftspolitischen Klimas auf einen Ausspruch von Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, kurz Talleyrand, besonnen. Der war nicht nur einer der berühmtesten Staatsmänner und Diplomaten Frankreichs, ihm verdankt die Welt auch ein manchmal wohltuendes Zitat: "Tout ce qui est excessif, est insignifiant", sinngemäß: "Alles, was übertrieben ist, ist unbedeutend."
Bild: belga