Unter dem Eindruck der Havarie in dem japanischen Atomkraftwerk hatten die EU-Staats- und Regierungschefs Ende März beschlossen, die insgesamt 143 europäischen AKW so genannten Stresstests zu unterziehen.
Allerdings steckt der Teufel bekanntlich im Detail: In Prag haben der zuständige EU-Energiekommissar Oettinger und Vertreter der Mitgliedsstaaten in den letzten Tagen heftigst über die genauen Prüfkriterien gestritten: Welche Faktoren sollen bei Sicherheitschecks berücksichtigt werden und vor allem: welche nicht?
Belgien ist der Auffassung, dass die Stresstests nicht streng genug ausfallen können und dass sie gegebenenfalls auch Konsequenzen haben müssen. Das zumindest bekräftigte der amtierende Premierminister Yves Leterme.
Es ist der "Faktor Mensch", an dem sich die Geister scheiden. Zumindest auf EU-Ebene. Prinzipiell sind sich alle Mitgliedstaaten einig: Man muss die 143 Kernkraftwerke einem Sicherheitscheck unterziehen. Doch nach welchen Kriterien? Welche Krisenszenarien sollen nun konkret durchgespielt werden?
Allen voran Frankreich und Großbritannien wollen sich ausschließlich auf - sagen wir mal - den Faktor "höhere Gewalt" beschränken. Konkret: Wie würde ein AKW einer Naturkatastrophe widerstehen, einem Erdbeben oder einer Überschwemmung zum Beispiel?
Der EU-Kommission, flankiert von den meisten anderen Mitgliedstaaten, reicht das nicht. Wie steht es um Bedienungsfehler, Terroranschläge, Hackerangriffe, gar Flugzeugabstürze?
Während man sich auf EU-Ebene noch streitet, liegt hierzulande schon der Entwurf eines Stresstest für die belgischen Atomanlagen vor. Atomanlagen, will heißen: alle Einrichtungen, in denen mit radioaktiven Elementen gearbeitet wird, also nicht nur Kernkraftwerke.
Zuständig für die Sicherheit dieser Anlagen ist die Föderale Agentur für Nuklearkontrolle. Und der belgische Stresstest umfasse nicht nur den Faktor Naturkatastrophe, erklärte der Direktor der Agentur, Willy De Roovere, in der RTBF. Überprüft werden solle auch, ob die Gebäude und Anlagen prinzipiell so konzipiert sind, dass sie etwa einem Terroranschlag oder einem Flugzeugabsturz widerstehen können.
Belgien will den Faktor Mensch berücksichtigen
Im Parlament hatte es aber in diesem Zusammenhang einen mittleren Aufruhr gegeben. Abgeordnete hatten kritisiert, dass der Entwurf der belgischen Stresstests sozusagen am Parlament vorbei ausgearbeitet worden war. Der amtierende Premier Yves Leterme hat also in der Kammer die belgische Haltung noch einmal ausführlich dargelegt.
Und dabei unterstützte der Regierungschef ausdrücklich die Vorgehensweise der Agentur für Nuklearkontrolle. Belgien habe im Zusammenhang mit den ominösen Stresstests von Anfang an auf allen Ebenen für strengst mögliche Kriterien plädiert. Und dies beinhalte eben auch den Faktor Mensch, also die Resistenz gegen Flugzeugabstürze oder Terroranschläge.
Wenn's dabei bliebt, dann kann sich die Atombranche, mit Namen Electrabel - darauf einstellen, den einen oder anderen Reaktor in letzter Konsequenz gegebenenfalls abschalten zu müssen. Denn auch ohne Stresstest sind sich Experten einig: Dem Absturz einer gängigen Linienmaschine würden die ältesten belgischen Meiler wohl nicht standhalten. Das gilt für Doel 1 und 2 sowie Tihange 1. Alle drei Reaktoren wurden Anfang der 70er Jahre gebaut und gingen 1974-75 ans Netz. Und damals hat man, wenn überhaupt, dann allenfalls den möglichen Absturz eines Sportflugzeugs bei der Planung berücksichtigt.
In diesem Zusammenhang stellte Leterme zwei Dinge klar. Erstens: Die Regierung könne und werde nicht über eine Verschiebung des Atomausstiegs entscheiden; schließlich sei sie ja nur geschäftsführend im Amt.
Bis auf weiteres bleibt es bei dem Szenario: Die ältesten Reaktoren müssen 2015 abgeschaltet werden. Doch eins ist sicher, sagt Leterme: Jede Regierung, die in Zukunft über die Laufzeiten der AKW zu entscheiden habe, könne keinesfalls die Ergebnisse der Stresstests ignorieren. Nein, es sei selbstverständlich, selbstverständlich, wiederholt Leterme, dass man über die Zukunft der belgischen AKW nur auf der Grundlage der Resultate der Stresstests entscheiden könne.
Eine Regierung kann nach Ansicht von Leterme nicht die Verlängerung der Laufzeit eines Reaktors beschließen, wenn genau dieser Meiler beim Stresstest durchgefallen ist.
Da durfte es fast nicht verwundern, dass sich die Regierung doch noch eine Hintertür aufgelassen hat. Der Entwurf des belgischen Stresstests sei noch nicht definitiv, erklärte Leterme. Man werde in den nächsten Tagen letzte Hand an den Text legen. dabei werde man natürlich auch die Entwicklungen in der EU oder auf Ebene der Internationalen Atomenergie-Behörde berücksichtigen.
Es mache doch keinen Sinn, wenn für ein belgisches AKW strengere Sicherheitsnormen gelten als etwa für ein französisches oder niederländisches Kernkraftwerk in Grenznähe; die radioaktive Strahlung kenne schließlich keine Grenzen. Also: Wenn die EU die Messlatte niedriger ansetzt, dann ist es zumindest denkbar, dass Belgien seinen Stresstest noch einmal entsprechend korrigiert.
Fest stehe, so der amtierende Premier, dass die Stresstests möglichst schnell anlaufen sollen, genau gesagt in diesem Sommer. Die Ergebnisse sollten Ende des Jahres vorliegen und würden auch veröffentlicht.
Mögliche Gefahren von Tihange für Ostbelgien und die Eifel
Das aus ostbelgischer Sicht nächste Atomkraftwerk liegt in Tihange bei Huy. Eine Meteorologin von der Universität Wien hat auf Basis realer Wetterdaten der vergangenen Jahre ausgerechnet, wie sich bei einem schweren Atomunglück in Tihange die nukleare Wolke ausbreiten würde. Herausgekommen ist, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft und die deutsche Eifel sich geographisch in einer ungünstigen Lage befinden. Der BRF sprach mit Dr. Petra Seibert vom Institut für Meteorologie in Wien.
Die Ergebnisse der Studien von Dr. Petra Seibert finden Sie im Internet unter flexrisk.boku.ac.at.
Die Angst vor den belgischen Altmeilern in Tihange reicht bis nach Deutschland. Verschiedene Grenzgemeinden drängen auf eine zügige Abschaltung von Tihange. Federführend sind dabei die Grünen. Der BRF sprach dazu mit Oliver Krischer aus Düren. Er sitzt für die Grünen im Bundestag.
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