In der innenpolitischen Krise beendet der König zur Stunde die Konsultationen, die er am vergangenen Freitag nach dem Abschlussbericht von Verhandlungsführer Wouter Beke aufgenommen hatte.
Am Nachmittag empfing er noch die Präsidenten der flämischen Sozialisten sowie von Ecolo und Groen. Nach diesen Gesprächen, das heißt aller Voraussicht nach morgen oder übermorgen, wird Albert II. entscheiden müssen, wie es weitergeht, das heißt, welcher Politiker mit welchem Auftrag betraut wird.
Selten zuvor hatte man so wenig Ahnung wie dieses Mal, was Albert II. entscheiden wird. Tatsache ist, dass die Wahlen vom 13. Juni inzwischen über elf Monate zurückliegen und Belgien noch immer keine neue Regierung hat.
Höchste Zeit?
Es wird also langsam höchste Zeit, dass sich in dieser Hinsicht etwas tut, und deshalb hat einer der beiden Wahlsieger, nämlich N-VA-Chef Bart De Wever, kürzlich vorgeschlagen, dass jetzt einer das Heft in die Hand nehmen muss, und das könnte seines Erachtens der andere Wahlsieger, nämlich PS-Präsident Di Rupo sein. Ihn könnte der König, so meinte De Wever, zum Regierungsbildner ernennen. Andernfalls sei er selbst bereit, in den Ring zu steigen.
Allerdings gibt es sowohl für die eine als auch für die andere Möglichkeit erhebliche Bedenken, beziehungsweise Hindernisse. Di Rupo hat zwar erklärt, er sei für einen königlichen Auftrag bereit, doch scheut er sich, einen Auftrag zur Regierungsbildung anzunehmen, weil in den strittigsten Fragen noch zu große Meinungsunterschiede zwischen Frankophonen und Flamen bestehen.
Außerdem besteht Di Rupo darauf, weiter mit den neun Parteien zu verhandeln, die zurzeit am Verhandlungstisch sitzen. Dagegen möchte De Wever auf der flämischen Seite die Sozialisten und die Grünen in die Opposition verbannen, weil er mit ihnen eine zu linkslastige Regierung befürchtet.
Für den Fall, dass Di Rupo vor einer weiteren königlichen Mission zur Lösung der Krise zurückschreckt, steht also De Wever in den Startblöcken. Er wäre notfalls sogar einverstanden, Premierminister zu werden, obwohl er bisher immer sagte, dass dieser Posten ihn nicht interessiert.
Das Problem mit De Wever
Das Problem mit De Wever ist allerdings, dass ihn die Frankophonen nicht haben wollen. Wenn er das Heft in die Hand nimmt, dann befürchten sie, dass er ihnen einen Vorschlag zur Staatsreform präsentiert, den sie nicht akzeptieren können. Sie müssten dann nein sagen, so dass De Wever ihnen die Schuld am Scheitern der Verhandlungen in die Schuhe schieben könnte. Er selbst könnte sich dann als guter Flame den Wählern stellen und würde beim nächsten Mal einen noch größeren Wahlsieg davontragen, und das wollen die Frankophonen auf jeden Fall vermeiden.
Wenn nun Di Rupo zögert und De Wever von den Frankophonen abgelehnt wird, welche Lösung bleibt dann dem König ?
Verlässlich kann zur Stunde wohl niemand diese Frage beantworten.
Verlegenheitslösungen
Es könnte sein, dass er Wouter Beke bittet, seinen Auftrag noch einige Tage weiterzuführen, um somit Zeit zu gewinnen, nach dem Motto: "Kommt Zeit, kommt Rat". Es ist auch möglich, dass er Di Rupo trotzdem in die Arena schickt, aber noch nicht als Regierungsbildner, sondern mit einer weiteren Vermittlungs- oder Verhandlungsmission.
Wie gesagt, es ist schwer vorauszusagen, wie sich der König entscheiden wird, zumal er sich dabei so gut wie immer auf das stützt, worüber zwischen den politischen Parteien ein Konsens besteht. Da es einen solchen zurzeit aber nicht - oder noch nicht - zu geben scheint, bleibt uns nichts anders übrig als Spekulationen anzustellen und abzuwarten. Eines ist allerdings sicher: Albert II. ist um seine Entscheidung nicht zu beneiden.
Archivbild: John Thys (belga)