Aber das sollte den Blick nicht auf den Kern verstellen, über die durch das Urteil von Mons ausgelösten Gefühle hinaus.
Von Sarkozy heißt es, er habe immer dann Glück, wenn es für ihn nicht gut laufe, aber dass ausgerechnet Michelle Martin ihm die Gelegenheit gibt, gegenüber seiner Herausfordererin Marine Le Pen in der Sicherheitspolitik zu punkten, wäre zum Lachen, wäre der Hintergrund nicht so tragisch und düster.
Klar, dass das ungefragte Vorpreschen seines Ministers, des "Garde des sceaux", des "Siegelbewahrers", wie sein respektheischender Titel in Frankreich lautet, dass der Zeitpunkt auch mit Blick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen erfolgte.
Sarkozys Parteifreund Balladur hatte zudem bereits 1996 die "Pérpétuelle incompressible" eingeführt, in deren Rahmen Fourniret, der Henker von Elisabeth Brichet, sein Leben im Gefängnis beschließen wird, Madame Fourniret kann frühestens nach 28 Jahren freikommen. Aber war Frankreich nicht auch das Land, das die Verbannung eigeführt hatte, wie sie Papillon im Buch erzählte und Steve Mac Queen in der Verfilmung plastisch vor Augen führte? Es ist ein Modell, das man nicht belächeln muss, es ist vielleicht das einzige Modell, dem es bisher gelang, eine Form von offenem Vollzug mit der Abschirmung von der Gesellschaft zu verbinden.
In Belgien preschte erwartungsgemäß die MR vor, mit ihrem Dauerwahlkampfthema der Haftstrafen ohne Haftverkürzung. Die aber für das eigentliche Problem keine überzeugende Sicherheitsgarantie bieten können, denn auch am Ende solcher Strafen steht die Freilassung, sie würde lediglich verzögert.
Aber es gab auch klare Bekenntnisse zur herrschenden Gesetzgebung, benannt nach ihrem Initiator, dem belgischen Strafrechtsreformer Lejeune, verbunden mit dem Ruf nach weiterer Verbesserung. Die Bekenntnisse sind beileibe nicht abwegig, umso mehr, da es die Möglichkeit des "Wegsperrens" - ein Begriff, den der deutsche Ex-Kanzler Schröder medienwirksam prägte - da es diese Möglichkeit ja schon seit langem in Belgien gibt: Der Häftling wird nach Ablauf der Haft der Regierung, also dem Justzminister überantwortet, wie es etwas umständlich heißt, es ist vergleichbar mit der Sicherheitsverwahrung. Sie machte in den letzten Monaten in Deutschland Schlagzeilen , weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellte, dass sie nicht rechtens sei, wenn sie nachträglich verhängt wird.
Für Dutroux ist sie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündigung verhängt worden, - dass dies nicht mit Michelle Martin geschah, seinem "Partner in crime", wie die Engländer sagen, lag im Verantwortungsbereich und Ermessensspielraum des Gerichts in Arlon - dass Michelle Martin bereits nach einem Drittel der Haftverbüßung ihre Vorstellungen mit Blick auf die Bewährung, dem Strafvollstreckungsgericht vorlegen konnte, hatte damit zu tun, - und dort liegt der Ursprung des Problems, dass Michelle Martin, geschiedene Dutroux, nicht als Wiederholungstäterin gilt, obwohl sie 1989 zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, zusammen mit mit ihrem "Partner in crime" Dutroux, wegen gemeinsam begangener Freiheitsberaubungen junger Frauen.
1991 kam sie frei, 1992 er, damals noch nicht im Rahmen der inzwischen geschaffenen Vollstreckungsgerichte. Im späteren "Dutroux-Prozess" profitierte sie davon, dass im Gechworenenprozess frühere Verurteilungen nicht in Betracht gezogen werden. Rechtsgeschichtlich macht das Sinn, in der Praxis nicht, man sollte die Lücke also schleunigst schließen, wie dies auch bereits der CD&V-Fraktionsführer anregte. Dann wäre ein erster Antrag erst nach zwanzig Jahren möglich gewesen, einer deutlich längeren Phase von Buße und möglicher Läuterung.
Es gibt also durchaus Platz für Verbesserungen, aber Verbesserungen allein genügen nicht, es gilt, die Philosophie des Gesetzes ernst zu nehmen, und dann auch konsequent zu handeln, im Sinne dieser Philosophie. Sie fußt darauf, die Aussicht auf vorzeitige Entlassung steigere die Chancen auf Einkehr und Besserung, entsprechend des abendländischen, gleichermaßen humanistischen wie christlichen Weltbildes.
Nimmt man dies ernst, sollte die Politik nicht nur auf BHV und responsabilisering starren, sondern diesen Zielen die gebührende Aufmerksamkeit geben und den entsprechenden Stellenwert. Die Chancen stehen nicht gut. Und die nachvollziehbare Entrüstung über das rechtstaatliche Urteil von Mons droht den Blick auf die Ziele zusätzlich zu verschleiern.
Archivbild: François Lenoir (belga)