Selten hat der Chef der flämischen Nationalisten, Bart De Wever, in letzter Zeit so klar Stellung zur innenpolitischen Krise bezogen. Jetzt ist Di Rupo an der Reihe, sagte er im Politfrühschoppen des VRT-Fernsehens.
Wenn er Premierminister der neuen Regierung werden will, und davon geht De Wever aus, dann muss Di Rupo jetzt, fast 11 Monate nach den Wahlen zeigen, dass er dazu das Zeug hat. Dann muss er jetzt die Initiative ergreifen, um die Verhandlungen über die Staatsreform zu einem guten Ende zu führen und dann eine Regierung bilden.
Sollte Di Rupo dies ablehnen, dann muss er sich damit einverstanden erklären, dass die N-VA die Führung bei den Verhandlungen übernimmt, so fügte De Wever hinzu. Lehnt die PS auch dies ab, dann ist das Spiel aus, sagte der N-VA- Chef, der dann keine andere Lösung als Neuwahlen mehr sieht.
Auffallend war ferner, dass De Wever, der bisher immer vor allem anderen eine Einigung über die Staatsreform gefordert hatte, jetzt zum ersten Mal dafür eintrat dass parallel zu den institutionellen Verhandlungen auch die sozialwirtschaftlichen Fragen zur Sprache kommen müssen.
Ein Kommentar von Frederik Schunck
Der belgische Politikjargon ist um einen Begriff reicher: "overzomeren", so sehr, dass diese flämische Wortkonstruktion bereits Einzug in den frankophonen Brüsseler "Soir" gefunden hat. Verbindet man die Wortschöpfung im Deutschen eher mit winterlichen Temperaturen, soll die Begriffsbildung "overzomeren" die Hoffnung ausdrücken, mit der jetzigen Föderalregierung "über den Sommer" zu kommen.
Bei N-VA-Chef De Wever löst der Begriff Nervosität aus, kann doch niemand, auch er nicht, ständig auf die Gunst von Wechselwählern zählen. Natürlich hätte er sich jetzt zurückziehen können, nach Ablauf des Ultimatums, das er selbst gestellt hatte. Genauer, das seine rechte Hand Siegfried Bracke ausgesprochen hatte. Denn De Wever selbst erscheint nicht mehr so oft in der Öffentlichkeit. Lieber lässt er Bracke oder Jan Jambon sprechen. Vielleicht auch, weil widersprüchliche Aussagen dann weniger auffallen.
Darauf angesprochen, meinte er mit der ihm eigenen leicht schnoddrigen Lässigkeit: Bracke habe das Ziel doch erreicht,er habe Druck gemacht, und das so sehr, dass Wouter Beke jetzt eine neue Phase einleiten könne, deren Vorbereitung er, De Wever, Beke "in Schönheit abrunden" lasse, wie er gönnerhaft hinzufügte.
Auffallender war, dass er es erneut versuchte , das Heft in die Hand zu nehmen: Ein Regierungsbildner müsse jetzt her, am besten Di Rupo, und wenn dieser nicht wolle, dann wolle er es selbst tun. Nicht mehr und nicht weniger, und ganz ohne die übliche Höflichkeit, in dieser Frage auf das Initiativrecht des Königs zu verweisen.
De "Standaard" stellt dann heute auch bereits die Gretchenfrage: "Und was, wenn die PS nicht will und die N-VA nicht darf?" Um dieser Frage gleich eine zweite anzuhängen: "mit der s.pa oder mit Open VLD?" Natürlich geht die Vorliebe De Wevers zur Open VLD, die auch umgehend seiner Forderung nach einem Regierungsbildner zustimmte. Mir der s.pa kracht es ohnehin im Gebälk, und sicherlich, seit die sp.a-Vorsitzende Caroline Gennez am Wochenende den Begriff von der "nieuwe vlaamse arrogantie", der neuen flämischen Arroganz geprägt hat, dessen Anfangsbuchstaben N-VA ergeben.
Aber nein. Damit meine sie doch nicht notwendigerweise die Partei gleichen Namens, sagte sie live im flämischen Fernsehen vor roten 1. Mai- Fahnen, sondern damit meine sie die gesamte Rechte in Flandern, von der sie ihre Partei abgrenze. Nun weiß jeder, dass der Voka, der flämische Unternehmerverband, die N-VA als seinen politischen Arm ansieht.
Apropos Voka: Auch das erklärt, dass De Wever nicht einfach so das Ultimatum wahrmachen konnte an diesem Wochenende, setzt sich seine Wählerschaft doch zu einem großen Teil aus der Voka-Klientel und anderen rechtsliberalen Flamen zusammen, neben dem Kernanteil von Separatisten und Nationalisten.
Sollte Di Rupo nicht wollen und De Wever nicht dürfen, kann er sich elegant zurückziehen, nach dem Motto: "Man lässt mich ja nicht". Di Rupo, der von De Wever herausgeforderte, hielt sich heute bedeckt ebenso wie seine Partei.
Bild: Julien Warnand (belga)