Zehn Jahre und über 216.000 Meldungen von Arbeitsunfällen – es ist eine durchaus beeindruckende Datenmenge, die der Personaldienstleister Liantis im Auftrag der König-Baudouin-Stiftung für seine Studie über Arbeitsunfälle analysiert hat. Und die Macher der Studie können auch eine sehr positive Nachricht vermelden: Global betrachtet sieht man über die Jahre einen fallenden Trend bei den Arbeitsunfällen, so Untersucher Tom Geens im Interview mit der VRT. Die Zahl der Arbeitsunfälle ist also rückläufig.
Aber auch wenn das natürlich schon mal gut ist, noch besser wäre es, wenn die Zahl der Arbeitsunfälle schneller sinken würde. Und deswegen haben sich die Liantis-Analysten vor allem die sogenannten Risikofaktoren angeschaut. Denn erstens hilft es natürlich immer, wenn man eine klarere Sicht auf ein Problem hat. Und zweitens macht das logischerweise dann auch die Prävention leichter. Frei nach dem Motto: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt - oder zumindest Gefahr reduziert.
Dabei ging es den Forschern aber weniger um spezifische Unfälle. Sie haben, etwas vereinfacht gesagt, nach Gemeinsamkeiten zwischen Unfällen gesucht. Und zwar vor allem nach Gemeinsamkeiten, was die berufliche Situation der Unfallopfer betrifft und ihre Arbeitgeber.
Die Ergebnisse scheinen dabei eine sehr deutliche Sprache zu sprechen: Besonders gefährdet sind zum einen Arbeitnehmer, die noch relativ neu sind in einem Betrieb, also weniger als ein Jahr dort arbeiten. Ihr Arbeitsunfallrisiko liegt nämlich um 40 Prozent höher als beim Durchschnitt. Zweite große Risikogruppe: zeitlich befristete Arbeitnehmer. Im Vergleich zu Festangestellten ist die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsunfalls bei ihnen 20 Prozent höher. Und besonders fatal ist die Kombination beider Parameter: Die Unfallgefahr für relativ unerfahrene, befristete Arbeitskräfte liegt nämlich sogar um 80 Prozent höher als bei ihren Kollegen.
Weitere Erkenntnisse: Bei Männern und jüngeren Arbeitnehmern gibt es mehr Arbeitsunfälle. Und die meisten Arbeitsunfälle passieren am Arbeitsplatz selbst, nämlich 85 Prozent. Nur 15 Prozent entfallen auf den Weg von der beziehungsweise zur Arbeit. Außerdem sind Arbeiter gefährdeter als Angestellte, was nicht wirklich überrascht. Genauso wenig wie die Sektoren mit der höchsten Zahl an Arbeitsunfällen: Ganz klassisch ist die Gefahr eines Arbeitsunfalls in der Industrie oder im Bausektor höher als zum Beispiel im Horeca- oder Telekomsektor. Auf zehn Unfälle in Niedrigrisikosektoren kommen im Schnitt 23 in der Industrie und 26 auf dem Bau.
Aber auch etwa aus dem Gesundheits- und Pflegesektor werden relativ viele Arbeitsunfälle gemeldet. Nämlich vergleichbar viele wie im Bausektor. Wobei es Besonderheiten gibt, wie Geens unterstreicht: Nämlich die Art der Arbeitsunfälle. Darunter können nämlich auch Unfälle mit Nadeln fallen, was die höheren Zahlen sicher miterklärt. Außerdem wird, allgemein gesprochen, im Sektor auch viel strenger auf die Erfassung und Meldung von Arbeitsunfällen geachtet als in anderen Sektoren.
Wobei sich die Untersucher wünschen würden, dass auch andere Sektoren Arbeitsunfälle gewissenhafter melden würden: Die registrierten Arbeitsunfälle seien nur die Spitze des Eisbergs. Wahrscheinlich gebe es noch viel mehr, von denen man nichts wisse. Und das macht die Analyse zwangsweise unzuverlässiger.
Dennoch haben die Macher der Studie klare Empfehlungen für Arbeitgeber: Zum einen täten sie gut daran, besonders neue und zeitlich befristete Arbeiter besser zu schulen in puncto Gefahrenvermeidung. Denn jeder Arbeitnehmer, der unfallbedingt ausfällt, kostet die Firmen auch bares Geld. Im Schnitt werden verunfallte Arbeitnehmer nämlich 33 Tage krankgeschrieben. Das entspricht einem wirtschaftlichen Schaden von mindestens 50 Millionen Euro pro Jahr.
Boris Schmidt