Es beginnt immer ganz harmlos: Man ist im Internet unterwegs und bekommt eine Kontaktanfrage. Vielleicht sind es Gleichaltrige, die einfach über das persönliche Profil gestolpert sind und einen total interessant finden, vielleicht sind es begeisterte neue Follower oder Ähnliches. Meist sind es auch noch sehr hübsche Menschen, die einen Kontakt anbahnen wollen. Eins führt zum anderen, man findet sich gegenseitig attraktiv, die Gegenseite schickt sogar schnell intime Bilder oder Videos von sich, da sagt man nicht nein. Auch nicht, wenn man gebeten wird, im Gegenzug auch "heiße Bilder" von sich zurückzuschicken.
Damit ist die Falle auch schon zugeschnappt. Die nächste Nachricht sei dann direkt gewesen, 500 Pfund zu bezahlen, erzählt ein Opfer bei Radio Eén. Denn die Täter hatten einen Screenshot von den Fotos gemacht und drohten damit, die intimen Aufnahmen an alle Follower zu schicken.
Besonders häufig, um nicht zu sagen fast ausschließlich, nehmen die Kriminellen bei dieser Art von Erpressung Jungen ins Visier, wie Nel Broothaerts von Child Focus bestätigt - aus so kühlem wie grausamen Kalkül. Die Täter hätten entdeckt, dass sie schnell Geld verdienen könnten durch die Ausbeutung von Jungen zwischen etwa 15 und 17 Jahren, also Jungen, die sich in einer Entwicklungsphase befinden, in der sie oft von Hormonen und Impulsivität gesteuert werden. Das mache Jungs in diesem Alter schlicht und ergreifend zu den leichtesten Opfern für diese Art von Erpressung.
Die Pubertät ist aber nicht der einzige Grund, warum diese Art von Verbrechen regelrecht explodiert. Eine ebenfalls sehr wichtige Rolle spielt der technische Fortschritt. Früher war es noch relativ einfach, gefälschte Profile zu erkennen oder herauszufinden, dass die angeblich persönlichen Fotos irgendwo im Internet geklaut waren. Heute verwenden die Cyberkriminellen stattdessen attraktive, quasi perfekt KI-generierte Profilfotos. und die KI liefert längst nicht mehr nur statische Bilder. Mittels eines Filters, der über einen Videostream oder eine Aufnahme gelegt wird, können sich die Verbrecher auch jede körperliche Form geben, die sie wollen. Dank KI-Simultanübersetzerprogrammen können sie auch in jeder gewünschten Sprache mit ihren Opfern interagieren. All das hat es unendlich viel schwieriger gemacht, mögliche Fake-Profile zu erkennen.
Es ist auch nicht so, dass die jugendlichen Opfer wahllos Nacktbilder an Unbekannte verschicken würden, unterstreicht Broothaerts. Sie würden ganz gezielt von den Verbrechern ins Visier genommen.
Dabei kommen auch massiv Bots, automatisierte Programme, zum Einsatz. Das erlaubt es den Verbrecherbanden, unzählige potenzielle Opfer gleichzeitig zu kontaktieren. Frei nach dem Motto: je breiter man streut, desto größer die Chance auf Erfolg. Das lohnt sich für die Kriminellen. Pro Opfer gehe es meist nicht um wahnsinnig große Beträge, die erpresst werden könnten. Aber die Masse mache es sehr lukrativ - nicht zuletzt, weil die Investitionen in die notwendige Technik relativ günstig sind.
Für die Opfer hat Child Focus vor allem einen ganz wichtigen Tipp. Auf gar keinen Fall bezahlen. Weil dann fordern die Erpresser immer mehr und das Problem wird dadurch nie verschwinden, egal, was die Verbrecher versprechen. Auch unvermeidlich und absolut wichtig: mit jemandem darüber sprechen, der helfen kann. Eltern, andere Vertrauenspersonen, Child Focus - es gibt viele Möglichkeiten. Auch wenn Scham- und Schuldgefühle noch so groß sind: Sextortion ist ein Verbrechen, dem jeder zum Opfer fallen kann. Die Kinder und Jugendliche tragen auch keine Mitschuld, wenn sie Opfer werden, Schuld tragen immer nur die Täter, die sie gezielt ins Visier nehmen und ausbeuten.
Mehr Informationen über die finanziell motivierte Erpressung von Kindern und Jugendlichen mit intimen Fotos und Videos findet ihr auf Französisch und Niederländisch auch auf der Kampagnenwebseite von Child Focus. Unter payboy.be wird das Phänomen erklärt und werden Tipps gegeben, wann man misstrauisch werden sollte und was man tun kann, wenn man zum Opfer solcher Verbrecher geworden ist.
Boris Schmidt