Der Fall Dutroux ist eine Zäsur in der Geschichte Belgiens. Und er ist untrennbar mit der Geschichte der Zelle für vermisste Personen verbunden. Erst verschwanden Julie und Melissa, dann An und Eefje.
Der öffentliche Druck auf die Behörden wuchs und wuchs. Was dazu führte, dass im Sommer 1995 durch das Justizministerium eine Sondereinheit für die Suche nach vermissten Personen ins Leben gerufen wurde, wie sich ihr langjähriger Leiter Alain Remue erinnert.
Wobei zum damaligen Zeitpunkt noch niemand ahnte, welche monströsen Verbrechen bald ans Tageslicht kommen würden. Man habe damals nicht gewusst, woran man war, hebt Remue hervor. Aber mit dem Verschwinden der weiteren Mädchen sei schnell klar geworden, dass man es mit etwas nie Dagewesenem zu tun hatte. Etwas, mit dem niemand bei der Gründung der Zelle für vermisste Personen gerechnet hatte.
Aber Dutroux war natürlich nur der Anfang. Mit den Jahren würden noch viele weitere Fälle folgen, darunter auch andere furchtbare Verbrechen. Eines will Remue aber dennoch klarstellen: "Verbrechen waren zum Glück eher selten. Den meisten Vermisstenfällen liegen andere Ursachen zugrunde. Zum Beispiel Suizide, immer häufiger auch Fälle von Demenz oder schlicht und ergreifend Unfälle."
Beeindruckende Bilanz
Bei der Zelle für vermisste Personen sei jeder Tag anders, man wisse nie, was man bis zum Abend erlebt haben werde. Völlig außer Frage steht dabei aber in jedem Fall der Einsatz und die harte Arbeit der Mitglieder der Sonderkommission.
Das belegt auch die mehr als beeindruckende Bilanz der drei Jahrzehnte ihrer Arbeit: Über 32.000 Dossiers hat die Zelle bisher bearbeitet und über 96 Prozent davon lösen können. Und, auch das muss man hervorheben, in 88 Prozent der gelösten Fälle sind die vermissten Personen lebend gefunden worden.
Das sei natürlich auch sehr positiv und wichtig, unterstreicht Remue. Denn jeder Fall, der gut zu Ende gegangen sei, habe ihm und seinen Kollegen dringend benötigte Energie gegeben, um weiterzumachen. Aber trotzdem hat sich ihm eine Zahl ins Gedächtnis eingebrannt: Die der nicht gelösten und damit immer noch offenen Fälle: 757.
757 ungelöste Fälle
757 Fälle, in denen die Angehörigen bis heute nicht wüssten, was passiert sei. Denn das ist etwas, was auch Angehörige von Opfern selbst beim Festakt bestätigt haben. Zum Beispiel der Vater der ermordeten Studentin Julie Van Espen: Keine Antwort ist schlimmer als eine schlechte Antwort. Erst wenn man eine Antwort habe, könne der Trauerprozess wirklich beginnen.
Das sagt auch Remue. Für ihn und seine Einheit war deswegen vor allem immer eine Sache die Mission: Den Familien Antworten zu geben. Und selbst wenn am Ende einer Suche nur noch eine tote Person gefunden werden könne, sei das trotzdem eine Antwort. In dieser Hinsicht müsse man jeden Fall, der gelöst werden könne, auch wirklich als Erfolg betrachten. Selbst wenn er mit schlechten Nachrichten für die Angehörigen ende.
Kommandowechsel
Das 30-jährige Bestehen der Sonderkommission "Vermisste Personen" fällt aber auch zusammen mit dem offiziellen Kommandowechsel, Remue setzt sich zur Ruhe. Er will sich nun erst einmal ausruhen, sich seinen Hobbys widmen, das Leben genießen und hoffentlich lange gesund bleiben, das sei das Wichtigste, betont er.
Und eines will er definitiv nicht machen: Weiter im Hintergrund aktiv bleiben. Sein Nachfolger, Gerry Van Loock, habe alle notwendigen Möglichkeiten und Fähigkeiten, er werde also sicher nicht mehr gebraucht, meint Remue.
Boris Schmidt