Kirmesorgelmusik und die Stimmen von Schaustellern, die ihre Attraktionen anpreisen und nie gesehene Wunder versprechen. Der köstliche und aufregende Duft von Holzfeuern, Fritten, allerlei Gebäck und natürlich Unmengen an Süßigkeiten. Willkommen in der Zeit der Jahrhundertwende, willkommen in der Welt der "Kirmeswunder" ("Foor wonder"/ "Merveilles de la foire"). So begrüßt das "Huis Van Alijn" im historischen Zentrum von Gent die Besucher zu seiner neuen Ausstellung und lädt sie ein, in eine großteils längst verschwundene Welt einzutauchen.
Denn natürlich ist die Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine ganz andere als die von heute, wie Eva Dierckx erklärt, die die Ausstellung mitgestaltet hat: "Es ist eine Zeit voller Fortschrittsoptimismus, die Zeit der industriellen Revolution, eine Zeit voller Innovationen, großer Entdeckungen und Entwicklungen. Und damit einhergehend auch einer großen Faszination angesichts anscheinend unbegrenzter neuer Möglichkeiten."
Das wirkt sich auf alle Bereiche des damaligen Lebens aus, auch auf die Kirmes: "Menschen gehen nicht nur auf die Kirmes, um sich zu vergnügen. Die Kirmes ist tatsächlich auch ein Ort, um etwas zu dazuzulernen und mehr über die große weite Welt zu erfahren. Und eben auch ein Ort, an dem Menschen oft zum ersten Mal persönlich in Kontakt kommen mit neuen Technologien."
Ein Aspekt, den man in puncto gesellschaftlicher Bedeutung auf gar keinen Fall unterschätzen sollte, schließlich reden wir über eine Zeit, in der es kein Fernsehen, Radio oder Internet gab. Neue Erfindungen kannten die Menschen also im besten Fall von Zeichnungen und den ersten brauchbaren Fotos in Zeitungen oder Ähnlichem.
Magie und Zaubertricks
Kino, Fotografie, Röntgenstrahlen, Taucheranzüge, das Wunder der Elektrizität und vieles mehr – all das waren einmal Kirmes-Attraktionen. Attraktionen, die auch die Besucher der Ausstellung in Gent jetzt wiederentdecken können.
Technologie ist allerdings nur ein Aspekt der Ausstellung. Kirmes, das waren immer auch Puppentheater und andere Spektakel. Und natürlich auch Magie, Illusionen und Zaubertricks. Und ganz wichtig: Die Besucher können zum Teil auch selbst Hand anlegen und zum Beispiel auf Knopfdruck Gegenstände verschwinden lassen.
Kirmes hatte auch dunkle Seiten
Gleichzeitig blendet die Ausstellung aber auch die dunkleren Seiten nicht aus. Im Gegenteil, die Besucher werden angeregt, sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Zum Beispiel mit den damals allgegenwärtigen Tier-Attraktionen. Aus heutiger Sicht betrachtet ein höchst fragwürdiges Spektakel, Stichwort Tier- und Umweltschutz.
Und das gleiche gilt für das, was man allgemein hin als "Freakshows" kennt, also von der Norm abweichende Tiere und auch Menschen. So wie zum Beispiel die berühmt-berüchtigte "Frau mit Bart", um ein noch eher harmloseres Beispiel zu nennen. Dass solche Menschen wie im Zoo vorgeführt wurden und Tricks zeigen mussten ist heutzutage natürlich unvorstellbar, war damals aber gang und gäbe. Genauso wie die diversen anatomischen Gruselkabinette, die einfach dazu gehörten, heute aber indiskutabel wären.
Genauso wenig fehlen dürfen in der Ausstellung aber natürlich einige der damals beliebtesten Attraktionen: Auch die Menschen des 19. Jahrhunderts wollten wissen, was die Zukunft für sie persönlich bereithielt, zum Beispiel in puncto Liebesglück, Finanzen oder Gesundheit. Ein Bedürfnis, das Wahrsager jedweder Form gerne gegen klingende Münze befriedigten, ganz egal ob nun anhand der Linien in der Hand, mit Karten oder anhand der Schädelform.
Wer in relativer kompakter Form eintauchen will in die Kirmeswelt der Jahrhundertwende, der kann das jetzt in Gent tun, und das sogar noch in historisch-architektonisch interessanter Kulisse. Inklusive selber Handanlegen und einem gewissen Gruselfaktor.
Mehr Informationen rund um die Ausstellung "Kirmeswunder" in Gent gibt es hier. Die Ausstellung läuft bis Ende April nächsten Jahres.
Boris Schmidt