Konkret geht es um Menschen, die von Richtern zu Gefängnisstrafen unter fünf Jahren verurteilt worden sind, die aber auf einer Warteliste stehen wegen des Platzmangels in den Haftanstalten. Es geht nicht um Schwerverbrecher.
Insgesamt stehen auf dieser Warteliste um die 4.000 Personen mit kurzen Haftstrafen. Um die ohnehin schon ziemlich angespannte Lage in den überfüllten Gefängnissen nicht noch weiter zu verschärfen, müssen sie warten, bis irgendwann ein Platz für sie in einer Zelle frei wird. Es handelt sich um eine bewusste und offizielle Maßnahme des Justizministeriums, diese Strafen nicht unmittelbar vollstrecken zu lassen.
Damit soll nun Schluss sein, zumindest, wenn es nach den Magistraten der Staatsanwaltschaft geht - denn die sind sauer, wie Generalprokurator Frédéric Van Leeuw in der VRT klarmacht. Man empfange widersprüchliche Signale, so Van Leeuw. Einerseits versichere die Politik, den Magistraten helfen zu wollen. Andererseits stehe im Osterabkommen der Regierung nichts über die Verringerung des Arbeitsdrucks oder die Einstellung neuer Magistrate.
Stattdessen erfahre man, dass die Renten der Magistrate ohne vorherige Absprache empfindlich gekürzt werden sollten. Dadurch könnten sie insgesamt zwischen 30 und 40 Prozent ihrer Kaufkraft einbüßen im Alter.
Justizministerin Annelies Verlinden wollte zunächst nicht öffentlich reagieren auf die Kampfansage der Staatsanwaltschaft.
Ohrfeige für Gefängnispersonal
Es sei eine Ohrfeige für das Gefängnispersonal, von der Entscheidung der Magistrate aus der Presse erfahren zu müssen, klagte derweil öffentlich Kathleen Van De Vijver, Sprecherin des Gefängniswesens, an. Die Staatsanwaltschaft gefährde durch ihr Vorgehen nicht nur das Gefängnispersonal, sondern die gesamte Gesellschaft. So etwas sei absolut unbegreiflich angesichts des hohen Drucks, unter dem das System stehe.
Die Gewerkschaften schlagen in die gleiche Kerbe: Die belgischen Gefängnisse seien aktuell auf rund 11.000 Insassen ausgelegt. Stattdessen befänden sich aber bereits über 13.000 Menschen hinter Gittern. Hier nochmal auf einen Schlag 4.000 weitere draufpacken zu wollen, sei unverantwortlich, gefährlich und schlicht unmöglich. Wenn das passiere, könne die Sicherheit nicht mehr garantiert werden und werde man eigene Aktionen erwägen, so die eindeutige Warnung der Gewerkschaften.
So weit wird es aber zumindest zunächst nicht kommen. Am Donnerstagmittag haben sich Gewerkschaften und Gefängnisdirektionen schnell darauf geeinigt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht umzusetzen. Menschen, die mit einem Brief der Staatsanwaltschaft in der Hand an der Gefängnispforte vorstellig würden, um ihre Haft anzutreten, werde mitgeteilt, dass es weiter keinen Platz gebe, erklärt Robby De Kaey von der sozialistischen Gewerkschaft. Und dass sie ihre Strafe nach wie vor zu einem späteren Zeitpunkt antreten müssten.
Damit führe man eigentlich weiter die ministeriellen Anordnungen aus, stellt Gefängniswesen-Sprecherin Van De Vijver klar. Auch wenn die Magistrate das nicht mehr tun wollten, das Gefängniswesen werde sich daran halten. Hierbei fühle man sich auch unterstützt und verstanden von Justizministerin Verlinden, unterstreicht Van De Vijver. Deswegen werde man auch an der Notmaßnahme festhalten, die man selbst verlangt hatte zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse.
Kabinett von Jambon widerspricht: Justizbeamte verlieren nicht bis zu 40 Prozent Kaufkraft
Nach Angaben des Kabinetts von Pensionsminister Jan Jambon (N-VA) wird die Rentenreform nicht dazu führen, dass Richter und Staatsanwälte mit einem Kaufkraftverlust von 30 bis 40 Prozent bei den Pensionen rechnen müssen. Das Kabinett widerspricht damit Aussagen von Vertretern der Justiz, die mit Protestaktionen gegen die Maßnahmen des "Osterabkommens" der Föderalregierung angekündigt haben.
Am kommenden Dienstag ist ein Treffen von Pensionsminister Jambon mit Vertretern der Justizbehörden geplant. Außerdem soll es Gespräche mit Justizministerin Annelies Verlinden geben. (belga/vrt/est)
Boris Schmidt