Das föderale Zentrum für Chancengleichheit Unia erhält jedes Jahr zahlreiche Beschwerden. Ein sehr großer Teil - fast ein Drittel - betrifft Rassismus beziehungsweise rassistisch motivierte Vorfälle. Das sind dann Meldungen, dass Menschen zum Beispiel wegen ihrer sogenannten Rasse, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder Herkunft schlechter behandelt werden. Allein 2024 hat Unia über 640 Dossiers eröffnet wegen Meldungen über diese Art von Diskriminierungen.
Die meisten dieser Dossiers - rund 30 Prozent - betreffen dabei den Bereich "Arbeit". Da kann es beispielsweise um die Beziehung zu Kollegen oder Vorgesetzten gehen oder auch zu Kunden, etwa wenn die Zusammenarbeit oder Interaktion aus rassistischen Gründen verweigert wird. Oder um Mobbing, oder um das Übergangen-Werden bei Beförderungen oder sogar um Entlassungen. Ein weiterer Klassiker aus diesem Bereich ist die Nicht-Berücksichtigung von Bewerbern mit ausländischen Wurzeln, Namen oder ausländischem Aussehen bei Stellenausschreibungen.
Knapp 20 Prozent der Rassismus-Dossiers fallen unter die Rubrik "Güter und Dienstleistungen", und betreffen damit zum Beispiel Wohnungssuche, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder auch Gesundheitsversorgung. Weitere rund 20 Prozent der Beschwerden gehören in die Kategorie "gesellschaftliches Leben".
Strukturelles Problem
Man müsse einfach akzeptieren, dass Rassismus und rassistisch motivierte Diskriminierungen auch ein strukturelles Problem seien, unterstreicht Patrick Charlier, Unia-Co-Direktor, im Interview mit der RTBF. Da gehe es nicht nur um individuelle Vorfälle. Wenn man von einer strukturellen Dimension des Problems rede, bedeute das, dass es keine bewusste oder absichtliche Entscheidung sei, rassistisch zu diskriminieren, sondern dass die Struktur einer Organisation dazu führe, dass Ungleichheiten gefördert würden.
Ein gutes Beispiel dafür sei das Gesundheitswesen: Menschen mit ausländischen Wurzeln fühlten sich von Ärzten oder in Krankenhäusern viel häufiger nicht respektiert oder diskriminiert als Belgier. Das führe dazu, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln Behandlungen und Eingriffe häufiger verschieben würden als Belgier - mit Folgen für die eigene Gesundheit und die Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Aber dennoch könne man in den meisten Fällen nicht davon sprechen, dass Ärzte oder Pflegepersonal hier absichtlich rassistisch diskriminieren würden. Vielmehr seien oft Unkenntnis über kulturelle und andere Besonderheiten die Ursache für Missverständnisse oder Sprachprobleme.
Größere Folgen als persönlicher Rassismus
Das Gesundheitswesen ist nur ein Beispiel. Wie Unia berichtet, hat struktureller Rassismus für die Betroffenen oft größere Folgen als persönlicher Rassismus. Denn struktureller Rassismus könne dazu führen, dass Menschen der Zugang zu essenziellen Gütern und Dienstleistungen verweigert werde. Da geht es nicht nur um den Zugang zur Gesundheitsversorgung, sondern auch zum Beispiel um einen Arbeitsplatz, um das Recht auf Bildung oder um die Suche nach einer Wohnung - kurz gesagt um ein stabiles und menschenwürdiges Leben. Struktureller Rassismus schränke viele Menschen geografisch, beruflich und selbst politisch stark ein, warnt Unia.
Solche strukturellen Probleme müssten auch strukturell angegangen werden. Im Fall des Gesundheitswesens beispielsweise plädiere Unia dafür, mehr Menschen mit unterschiedlicher Herkunft zu rekrutieren, um die gesellschaftlichen Realitäten besser widerzuspiegeln. Oder auch für verdeckte Tests, sogenannte "Mystery-Tests". Bei diesen Tests gehen Ermittler quasi undercover und geben sich als Kunden beziehungsweise als Patienten aus, um systematische Diskriminierungen und Probleme aufzuspüren. Diese Art von Tests seien auch wichtig, um rassistische Diskriminierung beweisen zu können. Denn nur mit Beweisen könne so etwas auch geahndet werden, hebt der Unia-Co-Direktor hervor.
Boris Schmidt