Bis vor Kurzem lebte Europa mehrheitlich unter der Gewissheit, auch von US-Streitkräften abgesichert zu werden. Und zwar nicht nur mit konventionellen Waffen, sondern im Zweifelsfall auch mit Atomwaffen. Stichwort Nato und Stichwort "nukleare Teilhabe".
Die Verlässlichkeit des amerikanischen nuklearen Schutzschirms ist allerdings mit Trump sehr fragwürdig geworden. In Europa besitzen nur Großbritannien und Frankreich eigene Nuklearwaffen und Großbritannien gehört ja nicht einmal mehr der Europäischen Union an. Gedankenspiele über eine Ausweitung vor allem der französischen nuklearen Abschreckung machen deswegen seit Wochen die Runde, nicht zuletzt nach positiven Signalen von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.
Premier De Wever warnt in diesem Zusammenhang aber vor zu großen Illusionen. Für einen echten nuklearen Schutzschirm brauche es viel mehr als nur die ballistischen Raketen der französischen Atomstreitkräfte. Es stimme zwar, dass die Franzosen die einzigen seien mit entsprechenden Kapazitäten in der EU. Aber diese Kapazitäten reichten nicht aus, um sich im Bedarfsfall allein darauf verlassen zu können, diese Vorstellung sei Unsinn.
In diesem Kontext sollte man auch daran erinnern, dass die nuklearen Kapazitäten sowohl Frankreichs als auch Großbritanniens immer vor allem als nationale Ergänzung zum Arsenal der Amerikaner gedacht waren.
Perfekte Verbündete für Putin
Hinzu kommt noch ein anderes Problem: Die rechtsextreme Marine Le Pen könnte in Frankreich bei den nächsten Wahlen an die Macht kommen. Und sie hat bereits ausgeschlossen, französische Atomwaffen zum Schutz anderer Europäer einzusetzen.
Die Rechtsextremen, auch in Belgien, gäben perfekte Verbündete für Putin ab, merkte De Wever dazu an, da müsse man schon fast von einer fünften Kolonne Moskaus sprechen. Wie die Linksextremen schon seit Jahren übrigens, schob der Premier noch nach. Man müsse also wirklich beten, dass solche Extremisten nie an die Macht kämen.
Unter den gegebenen Umständen könne man nur hoffen, dass Europa noch die Zeit haben werde, die es brauche, um eine glaubhafte militärische Abschreckung aufzubauen. Denn fünf bis zehn Jahre müsse man dafür auf jeden Fall einplanen.
Dabei müsse einfach auch die Frage der nuklearen Bewaffnung auf den Tisch kommen. Also die Frage, ob man auf europäischer Ebene strategische oder taktische Kernwaffen entwickeln wolle. Und die Frage, ob man die dann auch strategisch einsetzen wolle.
Konsens finden
De Wever fordert bei dieser Debatte auch mehr Empathie und Verständnis für Länder, die Russlands Aggressionen geografisch am nächsten liegen, also Länder wie Polen und die baltischen Staaten. Denn die fordern entschieden eine dramatische Verstärkung der militärischen Abschreckung. Polens Präsident etwa hat bereits mehrfach die Stationierung von US-Kernwaffen in seinem Land gefordert, um die Russen von einem Angriff abzuhalten.
In Westeuropa sei es natürlich sehr einfach, Nuklearwaffen einfach abzulehnen, so De Wever, schließlich seien die Russen ja gefühlt weit weg. In Polen beispielsweise sehe das aber ganz anders aus.
Es müsse also ein Konsens gefunden werden, der die ganze europäische Familie miteinbeziehe. Und diesem Konsens müsse sich Belgien dann seiner Meinung nach anschließen.
Boris Schmidt