Die Bedrohung durch den islamistisch motivierten Terrorismus war nie wirklich weg. Klar: Im Vergleich zu der Situation vor einigen Jahren mag es sich so anfühlen. Man darf nicht vergessen: Gerade erst hat sich die Aushebung der Vervierser Terrorzelle zum zehnten Mal gejährt. Das war am 15. Januar 2015 und - wie sich später zeigen sollte - war das damals gewissermaßen der Auftakt für eine beispiellose Terrorwelle, die ganz Europa erschütterte.
Wenn man im Moment auch nicht gleich den Teufel an die Wand malen muss, so schwelt unter der Decke nach wie vor eine doch sehr reale Gefahr. Das geht auch ganz deutlich aus den neuesten Daten hervor, die der Staatsschutz gerade vorgelegt hat. Demnach hat die Zahl der Festnahmen in Dschihadismus-Verdachtsfällen in Europa im vergangenen Jahr stark zugenommen. Bekanntestes Beispiel in Belgien war die mutmaßliche Terrorgruppe, die Anfang März letzten Jahres ausgehoben wurde. Die Verdächtigen planten anscheinend einen Anschlag auf das Brüsseler Kulturzentrum Botanique.
Minderjährige werden durch SocialMedia radikalisiert
Dieser Fall steht aber auch noch symptomatisch für ein anderes Phänomen: Drei der vier Festgenommenen waren minderjährig. Hier ist inzwischen ein Trend erkennbar. Von den Terrorverdächtigen, die zwischen 2022 und 2024 aufgegriffen wurden, war jeder dritte jünger als 18. Der jüngste war gerade mal 13… Schuld sind, man ahnt es schon, die Sozialen Netzwerke. Die VRT hat gerade erst die Probe aufs Exempel gemacht: Ein Journalist hat sich auf dem einschlägigen Messenger-Dienst Telegram herumgetrieben. Dabei stößt er plötzlich - man glaubt es kaum - auf ein Katzenvideo, das allerdings mit einer seltsamen Musik unterlegt ist. Offenbar ist es ein arabischer Gesang, der da zu hören ist.
Der Journalist liked das Video. Buchstäblich im nächsten Augenblick nimmt jemand über eine Privat-Anfrage ein Gespräch mit ihm auf. Ob er denn Al-Qaida gut findet oder auch den Islamischen Staat, wird er gefragt. Als er alles bejaht und das "Bewerbungsgespräch" am Ende besteht, wird er auf ein anderes Online-Forum umgeleitet. Und der Journalist befindet sich innerhalb kürzester Zeit in einem Chat-Raum, in dem die krudeste islamistische Propaganda geteilt wird. Beide Kanäle, die er besuchte, sind inzwischen geschlossen worden. Um freilich unter anderem Namen gleich wieder neu eröffnet zu werden. Die Geschichte zeigt aber in jedem Fall, wie schnell man in die Hände von Rattenfängern geraten kann. Und damit wird auch nachvollziehbarer, wie und warum sich junge Menschen so schnell radikalisieren können.
Sûreté kann nicht alles im virtuellen Raum im Blick haben
Wir verfügen inzwischen auch über die rechtlichen Instrumente, um im virtuellen Raum aktiv zu werden, sagte in der VRT Francisca Bostyn, die Direktorin der Sûreté. "Wir arbeiten mit verdeckten Ermittlern, die also versuchen, wie der Journalist, Zugang zu den einschlägigen Kanälen zu bekommen und die Verdächtigen zu identifizieren. Aber das bleibt ein schwieriges Unterfangen", sagt die Chefin des Staatsschutzes. "Wir können aber nicht überall gleichzeitig sein", sagt Francisca Bostyn. Die Sûreté verfüge eben auch nicht über unbegrenzte Mittel…
Die Radikalisierung von jungen Menschen im Netz ist aber nur ein Aspekt. Die Sûreté blickt außerdem mit Sorge auf die Entwicklung in Syrien. Nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad herrscht dort vielerorts Chaos. Viele Gefängnisse wurden einfach geöffnet und die Häftlinge freigelassen. Oft ging es da um Opfer des Regimes, unter den Freigelassenen können aber auch Dschihadisten sein, sagte Francisca Bostyn in der RTBF. Dschihadisten, die Verbindungen zu Belgien haben könnten. Die Sûreté weiß von 13 männlichen Dschihadisten, die sich anscheinend in Gefängnissen im Nordosten von Syrien aufhalten sollen. Man wolle mit allen Mitteln vermeiden, dass solche Leute unter dem Radar nach Belgien heimkehren.
"Was mit diesen Dschihadisten geschehen soll, das ist ein Thema für sich", sagt Francisca Bostyn. Denkbar wäre, dass man sie kontrolliert nach Belgien holt, um sie eben im Auge zu haben. Das ist aber nicht die einzig mögliche Option. Letztlich ist das eine politische Entscheidung", sagt die Chefin der Sûreté. Das alles eben nur, um zu sagen: Die Inlandsgeheimdienste müssen in alle Richtungen die Augen offenhalten. Gerade russische Spionage-Aktivitäten sind aktuell ein wirklich akutes Problem, bestätigt auch Francisca Bostyn. Doch sind die anderen "altbekannten" Bedrohungen dafür nicht plötzlich verschwunden.
Roger Pint