Es ist wieder einmal so eine Zeit, wo der Holzhammer Konjunktur hat. Die einen nehmen die japanische Tragödie zum Anlass, um 'jetzt erst recht' den Atomausstieg zu fordern. Die anderen sind nicht minder scheinheilig, wenn sie betont besonnen unterstreichen, man sollte jetzt nicht unter dem Eindruck von Emotionen über eine so wichtige Frage diskutieren. Als gäbe es keine Gefahr mehr, wenn die Kameras nicht mehr draufhalten ...
Aber, gut, das eigentliche Problem dabei ist: Derlei Diskussionen bringen uns keinen Schritt weiter. Denn hier wird eigentlich eine komplexe Frage auf ein einfaches Dilemma reduziert.
Die klassische Atomkraft-Diskussion sieht so aus: Der Idealist sagt "Kernenergie ist viel zu gefährlich, die Frage der Entsorgung des Atommülls ist ungelöst, von der nie ganz auszuschließenden Gefahr eines Super-GAUs ganz zu schweigen."
Der Gegner eines Atomausstiegs sagt "Schön und gut, Kernkraft ist gefährlich. Nur geht es nunmal nicht ohne. Lieber ein hypothetisches Restrisiko tragen, als am Ende ohne Strom dazustehen." Wenn man es jeweils auf eine dieser beiden starren Haltungen reduziert, dann dreht man tatsächlich Kreis.
Dem Apostel des möglichst schnellen Ausstieg sei gesagt: Die sieben belgischen Meiler abzuschalten, um dann Atomstrom aus Frankreich einzuführen, ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht unsinnig. Hinzu kommt: Wenn man sich die Standorte einiger AKW beim südlichen Nachbarn anschaut, dann weiß man: Ob nun Tihange explodiert, oder etwa Cattenom oder Chooz in Nordfrankreich, das kommt quasi aufs selbe heraus; Was machen da schon 50 Kilometer oder noch weniger?
Dem selbsternannten Pragmatiker, der sich hinter der angeblichen Alternativlosigkeit versteckt, sei gesagt: Reicht selbst die Fukushima-Tragödie immer noch nicht? Japan ist nicht die alte Sowjetunion. Alle Unterschiede, angefangen bei kulturellen über demografischen bis hin zu geologisch-seismischen Differenzen zwischen Europa und Japan können uns doch nicht den Blick auf die Realität vernebeln: In einer mit der unsrigen in entscheidenden Punkten durchaus vergleichbaren Gesellschaft ist ein Super-GAU im Gange! Kann man sich das vorstellen? Eine Weltmetropole wie Tokio ist vielleicht bald in eine radioaktive Wolke eingehüllt!
Und da gibt es keine Ausrede! Klar kann man hingehen und sagen: Ein Erdbeben der Stärke 9,0, gefolgt von einem Tsunami und das Ganze anscheinend noch gepaart mit einem Betreiber, der es mit der Sicherheit nicht so genau nimmt, das kann in Tihange, Doel oder 'wo auch immer' nicht passieren. Stimmt, so nicht. Dann nennen wir es doch einfach mal anders: eine Verkettung unglücklicher Umstände. In Japan ist das Risiko von eins zu "soundso viel" eingetreten. Punkt. Und das kann überall passieren.
Eigentlich – gerade in einer so sicherheitsverliebten Gesellschaft wie der des Westens des 21ten Jahrhunderts - hat niemand das Recht, seinen Bürgern, der Menschheit, ein solches Damoklesschwert über den Kopf zu hängen!
Gut, es ist eben die klassische Pro- und- Contra-Diskussion, die dann meist genau hier endet. Doch genau das ist der Fehler! Hier, genau hier, muss nämlich die Realpolitik greifen. Denn erstens: Wir haben sie nunmal, die AKW. Und zweitens: Wir sind - mal mehr, mal weniger - von der dort produzierten Energie abhängig.
Wie sähe also der Königsweg aus? Nun, so, wie Belgien es angegangen ist, geht es jedenfalls mit Sicherheit nicht, nämlich: 2003 den Atomausstieg zwar per Gesetz zu verordnen, dabei aber schon eine Hintertür offen zu lassen. Tatsächlich sah besagtes Gesetz vor, dass man zu gegebenem Zeitpunkt überprüft, ob es denn auch wirklich ohne Atomstrom geht. Wenn nicht, dann war ein Rückzieher möglich. Da muss sich natürlich nicht wundern, wenn Electrabel (Quasi-Monopolist und Quasi-Alleinbetreiber der belgischen AKW) sich nicht wirklich ins Zeug legt, um großflächig für Alternativen zu sorgen.
Dass es auch anders geht, hat Deutschland gezeigt. Zugegeben, gerade im Augenblick geht das Nachbarland in dieser Frage vielleicht nicht als Musterbeispiel durch. Dennoch gilt: Wohl vor allem unter dem Druck des geplanten Atomausstiegs konnte der Anteil erneuerbarer Energien erheblich gesteigert werden. 2020 könnte sogar fast die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms grün sein. Der Rückzieher von vor einem halben Jahr, den man jetzt angesichts eines als gefährlich eingestuften Gebräus von japanischen Schreckensbildern und regionalen Urnengängen urplötzlich bereut, ist da eigentlich nur Zynismus im Quadrat.
Zurück nach Belgien: Wie wäre es denn in einer ersten Phase damit? Wenn man schon Electrabel einen "Atom-Beitrag" abverlangt (richtigerweise, da sich das Schmuckstück des Französischen Konzerns GDF-Suez an den längst amortisierten, im Wesentlichen von den belgischen Verbrauchern bezahlten AKW eine goldene Nase verdient), wenn man also schon den Stromprozenten zur Kasse bittet, warum setzt man nicht ein Zeichen und investiert das Geld eins zu eins in alternative Energiequellen und in die Isolierung der viel zu alten belgischen Bausubstanz? Und das eben noch viel resoluter als jetzt. Dann wird auch aus einem politischen Dogma auf Dauer ein gesellschaftliches Projekt: Man gibt einen wirklich ernst gemeinten, entschlossenen, spürbaren Impuls in eine andere Zukunft.
Wenn es vielleicht auch so ist, dass man wohl "nicht ganz" auf Atomkraft verzichten kann, so ist das jedenfalls immer kein Grund, es nicht doch zu versuchen, wenigstens schonmal loszugehen. Die Debatte an der Ist-Situation festzumachen - "Es gibt keine Alternative"- und das dann zum Anlass zu nehmen, gar nichts zu tun, das ist jedenfalls nicht nur ein Denkfehler, sondern auch ein Bekenntnis zum eigenen Stillstand. Und wer in die Zukunft gehen, dabei aber mit beiden Füßen am Boden bleiben will, der kommt dort nie an ...