In der großangelegten Studie hat die christliche Krankenkasse mehr als 900.000 ihrer Mitglieder unter 18 Jahren in puncto verschreibungspflichtiger Arzneimittelkonsum unter die Lupe genommen. Und die Zahlen sprechen – zumindest oberflächlich betrachtet – eine deutliche Sprache: Um rund fünf Prozent ist der Konsum rezeptpflichtiger Medikamente demnach zwischen 2013 und 2023 zurückgegangen.
Allerdings bezieht sich diese Aussage auf alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel zusammengenommen. Bei einer Aufschlüsselung ergibt sich hingegen ein deutlich differenzierteres Bild. Eine Abnahme lässt sich etwa bei Antibabypillen beobachten, je nach Typ des Verhütungsmittels zeigt die Untersuchung hier einen leichten bis deutlichen Rückgang. Dafür ist aber auch ein Zuwachs bei alternativen Verhütungsmethoden wie etwa Hormonspiralen zu beobachten.
Antibiotikakonsum ist rückläufig
Für den Löwenanteil des Konsumrückgangs rezeptpflichtiger Medikamente sind allerdings eindeutig Antibiotika verantwortlich. Das sei auffallend, so Luc Van Gorp, der Vorsitzende der christlichen Krankenkasse. Es sei wirklich erfreulich, dass all die Aktionen zur Reduzierung der Antibiotika-Verschreibungen funktioniert hätten, so Van Gorp gegenüber der VRT. Allerdings liege Belgien hier trotzdem immer noch über dem europäischen Durchschnitt.
Das unterstreicht auch Patrik Vankrunkelsven, seines Zeichens emeritierter Professor für Allgemeinmedizin der KU Leuven. Der belgische Antibiotikakonsum liege beispielsweise noch immer drei Mal höher als in den Niederlanden, aber dennoch sei die Entwicklung positiv.
Fast ein Drittel mehr ADHS-Arzneimittel verschrieben
Bei anderen Medikamentenklassen sehe man oft aber eher eine Zunahme als einen Rückgang. Diese Entwicklung sei also eher besorgniserregend.
Das trifft besonders auf zwei Arten von Medikamenten zu, nämlich auf Antidepressiva und auf Mittel, die bei einer sogenannten "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung" verschrieben werden, kurz ADHS. Allein bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegen ADHS ist der Konsum unter Minderjährigen laut den Zahlen der Krankenkasse um über 31 Prozent gestiegen. Allerdings gebe es auch erhebliche regionale Unterschiede, hebt Professor Vankrunkelsven hervor: In Flandern würden Mittel wie Ritalin etwa viel häufiger verschrieben als in der Wallonie.
Langfristig hätten diese Medikamente aber in jedem Fall ernste Nebenwirkungen. Deshalb müsse wirklich umsichtiger mit ihnen umgegangen werden. Das gelte wohlgemerkt nicht nur für die Ärzte, die die Mittel verschrieben, sondern auch für die Eltern. Denn die drängten oft auf eine entsprechende Diagnose und Behandlung.
Das Gleiche gilt im Prinzip auch für Antidepressiva, deren Anstieg bei Unter-18-Jährigen mit 43 Prozent sogar noch heftiger ausfällt als bei den ADHS-Arzneimitteln. Diese Entwicklung überrascht Vankrunkelsven allerdings nicht, da man die gleiche Tendenz auch bei Erwachsenen sehe. So nehme eine von sechs Frauen bereits Antidepressiva.
Generell beklagen die Experten den ihrer Meinung nach oft zu schnellen Griff zu Medikamenten, denn die Verschreibung solcher Arzneimittel müsse eigentlich immer Hand in Hand gehen mit einer psychologischen Begleitung der Patienten, hebt Luc Van Gorp hervor. Aber die Zahlen zeigten, dass das nicht der Fall sei.
In den Augen von Professor Vankrunkelsven sei selbst eine schwierige Suche nach psychologischer Betreuung immer noch besser als das zu schnelle Verschreiben von Psychopharmaka. Hier müsse einfach ein Umdenken stattfinden.
Boris Schmidt