Die beiden Wirtschaftszeitungen L’Echo und De Tijd gehen am Dienstag in ihren Leitartikeln hart ins Gericht mit der Wirtschaftsprognose, die die Nationalbank am Montag vorgelegt hatte. L’Echo stellt die vorhergesagten 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum auf tönerne Füße, weil die Steigerung nur durch den Dienstleistungssektor erbracht werde.
De Tijd giftet gegen die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation. Diese zusätzlichen Kosten für die Arbeitgeber nähmen der Industrie die Luft zum Atmen. Im internationalen Wettbewerb verliere die belgische Industrie deshalb immer mehr an Boden.
Und sicher: Auch Pierre Wunsch als Chef der Nationalbank wird diesen Analysen im Grunde nicht widersprechen. Trotzdem stellt er auch das Positive der Prognose heraus. "In unserer Prognose sehen wir ein moderates Wirtschaftswachstum voraus, begleitet von mehr Beschäftigung und einer Arbeitslosigkeit, die historisch niedrig bleiben wird. Das ist die gute Neuigkeit."
Wo eine gute Nachricht ist, ist oft auch eine schlechte. Wunsch übernahm dabei am Dienstagvormittag nicht den Diskurs der Wirtschaftszeitungen, sondern richtete seinen Blick auf die USA. Dort habe die künftige Regierung Trump bereits angekündigt, Einfuhrzölle zu erheben. Genau wisse man noch nicht, was da international auf die belgische Wirtschaft zukäme. Viel Unsicherheit zurzeit noch - und wenn die Wirtschaft etwas nicht mag, dann ist es Unsicherheit.
Lage in Belgien entspannt
Im Internationalen sieht Wunsch also durchaus eine Front, die problematisch werden könnte. In Belgien selbst sieht er die Lage entspannter: Noch immer keine Föderalregierung und die Finanzmärkte, die bereits damit drohen, Belgien in seiner Kreditwürdigkeit herabzustufen? Nicht das ganz große Problem, sagt Wunsch - zumindest noch nicht. Denn so lange die Finanzmärkte das Gefühl bekämen, dass die neue Regierung den politischen Willen habe, die Finanzen in den Griff zu bekommen, werde sicher nichts überstürzt. Nur wenn die Bildung der Regierung zu lange brauche, werde man den Willen zum Sparen sicher auch früher oder später in Frage stellen.
Das hohe Staatsdefizit, das immer weiter wächst? Auch wieder kein allzu großes Problem. "Ich denke, man sollte zurzeit nicht zu stark dramatisieren", sagt Wunsch. "Denn zumindest ein Teil des Defizits wächst nur deshalb, weil man nichts tut. Die Ausgaben für die Renten steigen zum Beispiel jedes Jahr, weil die Bevölkerung immer älter wird. Eine der Maßnahmen sollte also sein, die Ausgaben zu stabilisieren und sie nur langsam zu erhöhen. Langsamer, als unsere Wirtschaft wachsen wird."
Ausgaben stabilisieren - das ist nur ein anderer Ausdruck für Sparen und möglicherweise auch Streichen. Zum Beispiel bei den Arbeitsplätzen, die es für Beamte oder Angestellte bei der öffentlichen Hand gibt. Ganz praktisch für die Menschen werde das aber kaum ein Problem sein. Die Furcht vor Arbeitslosigkeit sieht Wunsch nicht. "Wenn man bei der öffentlichen Hand spart, dann werden dort vielleicht weniger Menschen eingestellt. Sehr wahrscheinlich werden die Menschen aber ziemlich einfach Arbeit im Privatsektor finden."
Kay Wagner