Iris Tuijaerts aus dem limburgischen Lommel, die ein "Spenderkind" ist, hatte dagegen geklagt. Die 24-Jährige wollte wissen, wer ihr Vater ist. Bisher war diese Tür fest verschlossen. Der Verfassungsgerichtshof hat sie nun zumindest schonmal einen Spaltbreit geöffnet. Und Iris Tuijaerts hat einen wichtigen Etappensieg erzielt.
Der Reihe nach: Die Geschichte beginnt vor rund 25 Jahren. Die Mutter von Iris Tuijaerts möchte schwanger werden und entscheidet sich, auf eine anonyme Samenspende zurückzugreifen. Die Befruchtung gelingt: Neun Monate später bringt sie Zwillinge zur Welt. Die beiden Mädchen sind inzwischen 24 Jahre alt.
Schwarzes Loch
Eine der beiden ist eben Iris Tuijaerts. Sie wohnt inzwischen in Norwegen und studiert dort Rechtswissenschaften. Je älter sie wurde, desto stärker sei in ihr der Gedanke geworden, dass ihr irgendwas fehlt, sagt Iris in der Zeitung Het Laatste Nieuws. Klar: Sie kenne ihre Mutter und auch deren Familie. Aber es gebe eben auch noch die andere Seite, die ihres biologischen Vaters. Und da sei ein gähnendes Schwarzes Loch.
Von ihrem biologischen Vater wisse sie nichts, rein gar nichts, beklagt die junge Frau. "Ich will ja nicht seinen Namen erfahren. Und wir sprechen auch hier nicht von der Frage, welche Hobbys er wohl haben könnte", betont Iris. Ein paar Informationen wären aber dann doch durchaus hilfreich, etwa, was die Krankheitsgeschichte des Mannes angeht.
Der Fall von Tuijaerts steht bis zu einem gewissen Maß exemplarisch. Die Fragen, die sie sich stellt, die beschäftigten auch viele andere, die in diesem Fall sind. Man spricht hier von "Spenderkindern", wenn der Begriff auch irgendwie ein wenig unglücklich klingen mag. Die Suche nach dem Spender, also ihrem genetischen Vater, nimmt im Leben dieser Menschen oft einen wichtigen Platz ein. Sie empfinden das als eine Lücke, ein fehlendes Puzzleteil bei der Suche nach der eigenen Identität.
Auch Iris Tuijaerts hat alles probiert. Sie hat mit allen Mitteln versucht, die Uniklinik Brüssel dazu zu bringen, die Identität des Spenders preiszugeben. Ohne Erfolg. Die Klinik machte gleich zwei rechtliche Hürden geltend, die die Herausgabe jeglicher Information über den Samenspender unmöglich machten. Die Jura-Studentin wollte sich nicht damit zufriedengeben. Sie schrieb nicht nur ihre Bachelor-Arbeit zu dem Thema, sondern sie entschloss sich auch, juristische Schritte einzuleiten.
Grundsatzurteil
Die Sache landete dann am Ende vor dem Verfassungsgerichtshof. Und der gab der Klägerin Recht. Hier handelt es sich aber erst einmal um ein reines Grundsatzurteil. Im Klartext: Iris Tuijaerts wird nicht morgen die von ihr langersehnten Infos über ihren biologischen Vater bekommen. Wie das bei Verfassungsgerichts-Entscheiden so ist: Sie betreffen in erster Linie die Rechtslage an sich. Die wird definiert über ein Gesetz von 2007. Das besagt, dass ein Samenspender absolute Anonymität genießt.
Und das gilt übrigens in beide Richtungen: Spenderkinder können nicht erfahren, wer ihr biologischer Vater ist. Und der Samenspender wird nie erfahren, ob bzw. welche Kinder aus einer Befruchtung mit seinen Spermien hervorgegangen sind.
Der Verfassungsgerichtshof hat nun aber geurteilt, dass dieses Gesetz überholt ist. Ganz grob gesagt, sind die Richter zu der Überzeugung gelangt, dass das Gesetz vorrangig die Rechte des Samenspenders schützt, und das gewissermaßen auf Kosten der Rechte der Spenderkinder, deren Interessen nicht oder nur zu wenig berücksichtigt werden.
Gesetz muss geändert werden
Darüber hinaus gelte doch, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Abstammung zu kennen. Bestes Beispiel sei Delphine Boël, sagt in Het Laatste Nieuws der Vertreter einer Vereinigung, die sich für die Rechte von Spenderkindern einsetzt. Delphine Boël habe alle Mittel des Rechtsstaates ausschöpfen können, um ihren Vater zu ermitteln. Das war bekanntlich König Albert der Zweite.
Und eben dieses Recht werde den Spenderkindern verwehrt. Also, in einem Satz: Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass Spenderkinder durch das Gesetz diskriminiert werden. Und der Hof verurteilt den Gesetzgeber jetzt dazu, das Gesetz entsprechend neu zu fassen und dabei die Rechte der Samenspender und der Kinder besser in Einklang zu bringen.
Das Parlament hat bis 2027 Zeit, die neue, überarbeitete Fassung zu verabschieden. Mindestens bis dahin wird sich Iris Tuijaerts also noch gedulden müssen. Aber immerhin: Aus dem Urteil kann man zumindest ableiten, dass es ihr gelungen ist, einen prinzipiellen Rechtsanspruch zu erstreiten, der da lautet: "Spenderkinder haben ein Recht zu erfahren, wer ihr biologischer Vater, also der Spender, ist."
Roger Pint