Ist die Pressefreiheit in Gefahr? Parlamentspräsident Benoît Dispa von Les Engagés fand die Frage so wichtig, dass er sie aus der üblichen Fragestunde zur Aktualität auskoppelte und der Diskussion darüber einen eigenen Tagesordnungspunkt einräumte. Das hatte den Vorteil, dass alle Fraktionen fünf Minuten zu dem Fall Stellung nehmen konnten, und Regierungsmitglieder zehn Minuten Zeit hatten, zu antworten.
Die Ausgangslage war bekannt: Die RTBF hatte auf ihren Internetseiten einen Beitrag veröffentlicht, in dem eine farbige Rassismusexpertin sagt, dass alle weißen Menschen rassistisch sind. Eine Gegenmeinung dazu gab es nicht in dem Beitrag. Die Medienministerin der Französischen Gemeinschaft, Jacqueline Galant von der MR, kritisierte das auf der Plattform X und rief die RTBF in einem Tweet dazu auf, sich doch bitte an die Regeln der Medienarbeit zu halten.
Dieser Tweet schlug Wogen. Die Europäische Journalisten-Föderation meldete den Vorfall beim Europarat in Straßburg als Einschüchterungsversuch gegen ein Presseorgan. Am Dienstag machte die PS-Politikerin Fadila Lalaan alles zu einem Fall für das Parlament und am Mittwoch folgte die Debatte darüber im Plenum.
Bei zunehmender Dauer der Debatte wurde immer klarer: Nicht alle diskutierten über das Gleiche. Denn nicht nur Galant selbst, auch zwei ihrer MR-Kollegen regten sich weiter über die ihrer Meinung nach schlechte Arbeit der RTBF auf. Darüber, dass hier pauschal alle weißen Menschen als Rassisten abgestempelt würden. Und man das so tatsächlich nicht stehen lassen könne.
Die Kritiker dagegen sahen das Problem woanders. "Die Frage ist doch, ob es die Rolle eines Regierungsmitglieds ist, sich öffentlich über ein Medium zu äußern. Das ist die Frage, um die es geht. Und das ist eine fundamentale Frage", sagte der PTB-Abgeordnete Germain Mugemangango. Margaux De Ré von Ecolo sagte: "Das Problem hier ist, dass die Äußerung auf einer Plattform von Elon Musk getätigt worden ist. Mit allen Konsequenzen, die das mit sich bringt."
Galant selbst ging auf ihren Tweet bei X, also auf der Plattform von Elon Musk, in ihrer Stellungnahme gar nicht ein. Sie erklärte lediglich, dass sie überrascht gewesen sei von einer so einseitigen Darstellung des Themas durch die RTBF. Eine zweite Meinung sei in dem Beitrag nicht zu finden. Und deshalb habe sie reagiert.
"Meine Rolle bestand darin, sicherzugehen, dass die RTBF nicht gegen die Regeln des Journalismus und den Auftrag, zu informieren, verstoßen hat. Deshalb habe ich entschieden, den CSA zu bemühen, der diesen Fall natürlich in aller Unabhängigkeit untersuchen wird." Der CSA, das ist der unabhängige Medienregulator für audio-visuelle Medien im frankophonen Belgien. Und dass Galant sich an diesen Regulator gewendet hat, so, wie man es tatsächlich tun sollte, wenn man ein Problem mit der Berichterstattung der RTBF hat, das war eine Information, die bis dahin noch nicht in der Debatte aufgetaucht war.
Diese Benachrichtigung des CSA hätte dann auch eigentlich jeden Tweet auf X überflüssig gemacht. Doch den schickte Galant trotzdem in die Welt. Warum, das sagte sie nicht, sondern wehrte sich vielmehr nochmals gegen den Vorwurf, sie habe die Pressefreiheit einschränken wollen.
"Es geht natürlich nicht darum, mich in die Redaktionsrichtlinien von irgendeinem Medium einzumischen. Es geht darum, sicherzustellen, dass Informationen immer objektiv bleiben und sowohl der Pluralismus der Medien als auch Meinungen weiter möglich bleiben, natürlich im Rahmen der demokratischen Vorgaben", so Galant.
Kay Wagner