Laut den Zahlen der belgischen Statistikbehörde Statbel leben etwa neun Prozent der Bevölkerung hierzulande mit einer Behinderung. Das ist etwas weniger als jeder Zehnte. Trotz dieses relativ hohen Anteils gibt es noch immer sehr viele falsche Vorstellungen über Behinderungen. Das betont auch der Geschäftsführer von CAP48, Renaud Tockert. CAP48 will für die Probleme von Personen mit Beeinträchtigungen und Jugendlichen in Schwierigkeiten sensibilisieren. Dazu finanziert die Organisation unter anderem auch Projekte zur Förderung von Inklusion in Ostbelgien.
Viele Menschen glaubten fälschlicherweise, dass Behinderungen meist angeboren seien, so Tockert im Interview mit der RTBF. Die Realität sei aber, dass die allermeisten Beeinträchtigungen erst im Lauf des Lebens aufträten. 80 Prozent der Behinderungen seien nicht angeboren. Potenziell könne jeder Mensch selbst oder in seinem Umfeld eines Tages mit einer Beeinträchtigung konfrontiert werden, beispielsweise durch einen Unfall oder eine Erkrankung.
Belgien hat bereits vor 15 Jahren das sogenannte Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, oft auch verkürzt als UN-Behindertenrechtskonvention bezeichnet. Damit hat Belgien bindend zugesagt, die Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen besser zu berücksichtigen, also die Inklusion dieser Personen zu verbessern.
Belgien habe in puncto Inklusion in den letzten 20 Jahren auch bereits Beeindruckendes geleistet, räumt der CAP48-Geschäftsführer ein. Aber auf die Frage, ob Belgien in dieser Disziplin eine Goldmedaille verdiene, hat er dennoch eine eindeutige Antwort: nein. Jedenfalls noch nicht, so Tockert mit Bestimmtheit.
Diskriminierung - auch auf Arbeitsmarkt
Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen sei beispielsweise noch immer ein sehr großes Problem in Belgien. Eine Behinderung sei leider der zweithäufigste Diskriminierungsgrund nach Herkunft oder kulturellem Hintergrund.
Das könne man beispielsweise ganz deutlich auf dem Arbeitsmarkt sehen. Bei gleichen Qualifikationen habe eine Person ohne Beeinträchtigungen noch immer doppelt so gute Chancen, den Job zu bekommen, wie eine Person mit Beeinträchtigungen.
Das bestätigen auch andere Organisationen und Verbände, die sich für die Interessen von Menschen mit Behinderungen einsetzen. In der vergangenen Woche etwa hat in Genf der Fachausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen getagt. Dabei wurden auch verschiedene belgische Organisationen angehört. Eine Vertreterin der flämischen Initiative GRIP, die sich für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen einsetzt, wirft dem belgischen Staat in einigen Punkten sogar die Verletzung von Menschenrechten vor - insbesondere, weil schon 15 Jahre seit der Unterzeichnung der UN-Charta vergangen sind.
In aparten Systemen untergebracht
Die GRIP kritisiert unter anderem, dass Personen mit Beeinträchtigungen noch immer nicht ausreichend in die Gesellschaft integriert und stattdessen in aparten Systemen untergebracht werden. Das mache ein würdiges und selbstständiges Leben und eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sehr schwer. Auch die finanzielle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen laufe viel zu schleppend.
Dass diese Einschätzungen realistisch sind, kann man auch den Zahlen von Statbel entnehmen. Aus den Daten geht eindeutig hervor, dass Personen mit Beeinträchtigungen deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind als der Durchschnitt der Bevölkerung.
In einigen Bereichen bleibe noch sehr viel zu tun für eine echte Inklusion, fasst deswegen auch Renaud Tockert zusammen.
Boris Schmidt