Der Streik wurde gut befolgt, legte das Land aber nicht lahm. War er damit sinnlos, aus Sicht der beiden Gewerkschaften? Mit Blick auf das Rahmenabkommen sind die Aussichten gering - zu unwahrscheinlich, dass Regierung oder Parlament noch daran substantiell rühren. Die Regierung nicht, denn es genügte Yves Leterme, dazu ein kurzes Statement abzugeben, im Sinne eines Väterchen Gütig: verständnisvoll, aber, ich tu's doch, im Interesse des Landes. Fertig. Selten war ein belgischer Premier so unangefochten, mal abgesehen von De Haene, aber der polarisierte und war für viele eine Reizfigur.
Überhaupt Leterme: Dass er noch nie so fest im Sattel saß wie jetzt, ist inzwischen ein Gemeinplatz, pikanter ist, dass er viel sicherer sitzt als sein Amtskollege in Den Haag, dem es diese Woche nicht gelang, über die Provinzwahlen seine Stellung im niederländischen Senat zu verbessern: Mark Rutte hat noch immer keine Mehrheit und führt nur ein Minderheitskabinett. Für Freunde schwarzen Humors: Im Gegensatz zu den Holländern haben wir Belgier zumindest eine Regierung mit Mehrheit im Parlament.
Wo sich übrigens Erstaunliches tut: Dort hat eine rechte Allianz aus Abgeordneten, darunter frankophone Liberale und solche der N-VA, im Ausschuss einen Antrag zur Änderung des Familiennachzugs im Einbürgerungsrecht erreicht. In der Kammer hat man sich auch mehrheitlich für die Einführung einer Frauenquote in Staatsbetrieben und börsennotierten Firmen ausgesprochen. Nicht weniger als das.
Und wer hat diesen Schub zu soviel Normalität im nicht normalen politischen Leben möglich gemacht? Nach meiner Einschätzung ist es der König gewesen, der sich, mir nichts, dir nichts, eine präsidiale Statur gegeben hat: "Sorgen Sie für einen Haushalt und sichern Sie den Belgiern den Wohlstand!" Das hatte Albert Yves Leterme gesagt, eben einmal so - ein Zwei-Zeilen-Kommuniqué des Hofes, weitergegeben von Belga, und, hat da jemand protestiert?
Vielleicht auch deshalb nicht, weil niemand was besseres weiß und insgeheim erleichtert war. Wobei wir wieder bei Bart, Elio und Wouter sind, und den anderen Akteuren. Stichwort Bart De Wever: Er hat zweifellos vom heutigen Streiktag profitiert: Instinktsicher hat er heute seinen Gegner Nummer Eins angegriffen: Patrick Janssens, den Bürgermeister von Antwerpen, dessen Stuhl er ja erklärtermaßen haben will: Janssen habe die Stadt wilden Gewerkschaftsaktionen ausgeliefert, wetterte De Wever, Antwerpen gleiche einer belagerten Stadt. Das ist Musik in den Ohren seiner Anhänger.
Seiner Anhänger, denn, und jetzt kommt Bewegung in die belgische Politik: Nach neun Monaten gebiert die Krise die Verbreitung einer Schlüsselerkenntnis: dass De Wever vor allem für rechtslastige und sehr rechtslastige Politik steht. Das zeigen seine Leute in der Kammer und im Senat, das zeigt er selbst. Und das könnte ihm in Flandern vielleicht gefährlicher werden als der zwischengemeinschaftliche Stillstand: denn es war auffallend viel Zuspruch in Flandern für den Generalstreik, für flämische Verhältnisse.
Und aus Gent kam heute auch die wohl realistischste Einschätzung zu der eingangs gestellten Frage, welchen Nutzen wohl ein solcher Streik hat: Ein gewisser Eddy Van Lancker des liberalen ACLVB rief vor rund 1000 Aktivisten in Gent aus: "Wir erwarten Aktionen in Europa" und weiter: "Belgien ist ein Exportland, sollten wir dann nicht unser Modell exportieren statt das deutsche zu importieren?" Van Lancker meinte natürlich die Indexbindung. Die hatte in dieser Woche - man höre und staune - von dem Wirtschaftskommissar der EU-Kommission ihre höheren Weihen erhalten: Die belgische Formel sei klug konzipiert, hatte Olli Rehn erklärt, und sei anders, als frühere Formeln, die zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit gegangen seien.