Es ist eine spektakulär klingende Meldung: Die Hälfte der Fälle von Demenz sei vermeidbar oder könne hinausgezögert werden, so beispielsweise eine belgische Zeitungsüberschrift. Hintergrund ist die Veröffentlichung eines neuen Berichts einer internationale Demenz-Expertengruppe in der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet". "Die Hälfte" sei zwar eine kleine Übertreibung, es seien "nur" 45 Prozent, betont Jurn Verschraegen im Interview mit Radio Een. Er ist der Direktor des flämischen Expertisezentrums für Demenz. Aber dennoch seien das deutlich mehr als die 30 bis 40 Prozent, von denen bisher ausgegangen worden sei.
Das hat alles mit der Identifizierung von Risikofaktoren zu tun. 2017 seien erstmals neun Risikofaktoren beschrieben worden, führt der Experte aus – mit dem neuen Bericht ist ihre Zahl auf nun insgesamt 14 angewachsen. Menschen könnten also ihr Demenzrisiko reduzieren, durch Veränderungen ihres Lebensstils.
Es gehe aber keinesfalls darum, Menschen, die heute an Demenz litten, Schuldgefühle einzureden, dass sie schlecht gelebt hätten, betont Verschraegen. Es sei nie die Schuld von Menschen, wenn sie an Demenz erkrankten. Aber dennoch müsse man eventuelle Risikofaktoren berücksichtigen, um den Lebensstil zumindest zum Teil und eigenverantwortlich anpassen zu können. Das auch vor dem Hintergrund, dass es zwar eine gewisse genetische Veranlagung gebe, an Demenz zu erkranken, dass viele Menschen das aber überschätzten.
Natürlich komme es auch vor, dass jemand Demenz bekomme, dessen Eltern Demenz gehabt hätten. Aber das sei trotz allem ein begrenztes Phänomen.
Zu den Risikofaktoren, die es zu vermeiden oder zu reduzieren gelte, gehörten etwa übermäßiger Alkoholkonsum, Diabetes, Bewegungsmangel, Depressionen. Aber auch ein niedriger Bildungsgrad, Rauchen, Luftverschmutzung, Bluthochdruck, Übergewicht, Gehirnverletzungen, der Verlust des Hörvermögens und soziale Isolierung förderten Demenz.
Mit dem neuen Bericht des Demenzexperten-Panels rückten vor allem zwei weitere Faktoren in den Fokus: Da gehe es darum, zu hohe Cholesterin-Konzentrationen im Blut zu vermeiden, und darum, das Sehvermögen zu erhalten. Allein diese beiden letzten Faktoren würden mit neun Prozent der Demenzfälle in Verbindung gebracht, erklärt Verschraegen, wobei eindeutig das Cholesterin das größere Problem sei.
Zu hohe Cholesterin-Werte hätten vor allem damit zu tun, dass die Menschen immer mehr Zeit ihres Lebens im Sitzen verbringen würden, deswegen bezeichneten manche das schon als das neue Rauchen.
Entsprechend fallen dann auch die Tipps aus: Im Büro auch mal stehen, anstatt immer nur zu sitzen, zwischendurch kleine Spaziergänge machen – Bewegung sei einfach sehr wichtig. Selbst bei bereits beginnender Demenz könne Bewegung helfen, also den Fortschritt der Krankheit zumindest teilweise verlangsamen.
Und wenn man das mit Maßnahmen verbinde, um sozial eingebunden zu bleiben, um so besser, dann schlage man quasi zwei Fliegen mit einer Klappe, so Verschraegen sinngemäß. Also zum Beispiel in Vereine eintreten, gemeinsame Ausflüge machen und ähnliches, um den Risikofaktor soziale Isolierung anzugehen.
Der Experte hat auch noch einen entscheidenden Tipp: Es sei nie zu spät, um mit Veränderungen des Lebensstils anzufangen.
Boris Schmidt