Der Kleidungssektor hat bis auf einige Ausnahmen wenig zu lachen. Das bestätigt auch Pierre-Alexandre Billiet, Geschäftsführer der Retail-Plattform Gondola Group im Interview mit der VRT. Der Retail-Sektor befinde sich gerade im Auge des Sturms, sagt Billiet.
Die Kaufkraft der Bürger stehe unter Druck. Dann sei da noch internationale und geopolitische Instabilität, das mache beispielsweise Händlern das Leben schwer, die ihre Lager mit Produkten aus Asien füllten. Und dann sei da noch der Faktor Klim, wetterbedingt sei viel weniger verkauft worden als in wärmeren Sommern. Da komme schon einiges zusammen an Problemen für die Händler. Und es gebe wenig Hoffnung, dass sich das in absehbarer Zeit grundsätzlich ändern werde.
Die Textilindustrie befinde sich aber ohnehin schon geraume Zeit im Niedergang, führt der Experte aus. Das habe im Prinzip mit der Auslagerung der Kleidungs- und Schuhproduktion nach Asien und Afrika vor rund 20 Jahren begonnen. Das wurde natürlich getan, weil dort billiger produziert werden konnte.
Heutzutage sei aber nicht mehr nur die Produktion im Niedergang, sondern auch der Vertrieb der Produkte. Denn früher wurden zum Beispiel in Fernost hergestellte Produkte ja trotzdem noch von belgischen und europäischen Geschäften verkauft. Das bedeutete, dass ein Großteil der Gewinne in Europa erwirtschaftet wurde.
Ungesunder Wettbewerb
Das sei jetzt aber nicht mehr so. Asien und Afrika produzierten so viel, dass sie den europäischen Markt regelrecht überschwemmten mit Produkten – und zwar mit Produkten, die sie über eigene Plattformen vertreiben und nicht mehr über belgische oder europäische. Das sorge für spottbillige Konkurrenz für einheimische Geschäfte aus Asien, beispielsweise durch Shein, Temu und andere Plattformen.
Es gehe um Milliarden von Paketen, die zu Dumping-Preisen nach Europa strömten, unterstreicht Billiet. Das sorge für einen sehr ungesunden Wettbewerb und für sehr viel Druck in der gesamten Konsumgüterindustrie: von den kleinen Selbstständigen bis hin zu den großen Ketten. Selbst Konzerne wie C&A und H&M befänden sich dadurch in sehr großen Schwierigkeiten.
Gegen diese Dumping-Praktiken könnten einzelne Länder wie Belgien im Prinzip auch nicht viel tun, hebt der Experte hervor. Hier sei Europa gefordert. Denn es sei die aktuelle europäische Gesetzgebung, die für offene Grenzen für Importe aus Asien sorge – und damit für das allmähliche Verschwinden des einheimischen Handels.
Europa müsse einfach für einen viel faireren Wettbewerb sorgen, fordert Billiet. Der erste wichtige Schritt sei, sich des Problems bewusst zu werden. Das habe mittlerweile begonnen, auch dank der Arbeit von Verbraucherschützern bei den europäischen Institutionen.
Allerdings sei Eile geboten, appelliert Billiet. Denn der bereits existierende Niedergang sei in eine Stromschnelle geraten durch die Covid-Krise und die klimatologisch ungünstigen Bedingungen. Aber genau das ist nach Meinung des Experten ein großes Problem: Schnelles Handeln sei nicht gerade etwas, wodurch sich Europa auszeichne.
Boris Schmidt