Eigentlich sollte es eine gute Nachricht sein: Die neuen Anlagen für Wind- und Sonnenenergie, die in den vergangenen Jahren in Belgien gebaut wurden, arbeiten hervorragend. 30 Prozent des belgischen Stromverbrauchs werden mittlerweile von diesen Anlagen abgedeckt. Die Tendenz ist steigend und so soll es auch sein. Denn bis 2030 will Belgien den Anteil von erneuerbaren Energien im Energiemix auf 50 Prozent gesteigert haben. 20 Prozent in gut fünf Jahren - es gibt also noch viel zu tun.
Da verwirrt die Nachricht doch ein wenig, die jetzt vom Stromnetzbetreiber Elia kommt. Elia warnt vor zu viel Strom - und das auf den ersten Blick vor allem wegen des hohen Anteils an erneuerbaren Energien. "In den kommenden Wochen und Monaten kann es dazu kommen, dass unser Elektrizitätssystem unter Druck gerät, wenn es viel erneuerbare Energie und wenig Verbrauch gibt", heißt es in einer Mitteilung von Elia.
Wenig Verbrauch: Das versteht man sofort. Im Sommer wird nicht geheizt, es ist lange hell, man braucht also weniger Beleuchtung, viele Menschen sind im Urlaub. Doch warum soll an der Überproduktion an Strom die erneuerbare Energie Schuld sein? Liest man weiter in der Mitteilung von Elia, wird verständlich, dass das tatsächlich nicht der einzige Grund ist. Denn gleichzeitig sei auch viel Atomstrom verfügbar, gibt Elia zu. Vier Atommeiler seien zurzeit am Netz, präzisiert die Wirtschaftszeitung L’Echo.
Zu viel Strom von erneuerbaren Energien
Belgien hat zu viel Strom. Der kommt von erneuerbaren Energien und von AKW. Zu viel Strom ist nicht gut für das Netz. Es muss irgendwas abgestellt werden. Elia schlägt vor, dass Anlagen für Wind- und Sonnenenergie dran glauben müssen und nicht die AKW. Applaus dafür kommt von Engie Electrabel, Betreiber der AKW. "Kernkraftwerke sind Maschinen, die darauf ausgerichtet sind, ständig zu laufen. Die kann man nicht ein- und ausschalten wie eine normale Lampe. Allerdings kann man die Produktionskapazität um 25 oder 50 Prozent herunterfahren. Damit leisten sie einen Beitrag zur Flexibilität bei der Stromproduktion", begründet Sprecher Olivier Desclée im Radio der RTBF.
Anlagen für Wind- und Sonnenenergie kann man dagegen durchaus schnell ein- und ausschalten. Fawaz Al Bitar, Generaldirektor des Verbands der Erneuerbaren Energien (Edora), sagt: "Die erneuerbaren Energien sind ein bisschen Opfer ihrer Flexibilität. Sowohl die Wind- als auch die Sonnenenergie sind flexibel. Man kann sie - leider - sehr schnell abstellen, während andere Technologien, wie zum Beispiel die Kernenergie, diese Flexibilität nicht haben.
Nicht im Sinne der Energiewende
Alles in Ordnung also, wenn im Sommer die AKW weiterlaufen und dafür Windparks eventuell stillstehen. Obwohl das eigentlich nicht im Sinne der Energiewende ist. Weshalb Al Bitar auch darauf verweist, dass man es beim aktuellen Stand der Dinge nicht belassen darf. "Für die Zukunft ist es wichtig, dass der Energiemix viel flexibler als heute wird, damit man tatsächlich die Windenergie auch nutzt, die weiter massiv auf den Markt kommen wird."
Speichermöglichkeiten für Energie aus Wind und Sonne müssten genauso entwickelt werden wie Anreize für die Verbraucher, den Strom dann zu nutzen, wenn er produziert wird. Das könne zum Beispiel durch flexible Preismodelle gelingen. "Man braucht sowohl Speichermöglichkeiten als auch Mechanismen, die zur Flexibilität anregen. Was bedeutet, dass man im Idealfall genau dann Strom verbraucht, wenn er produziert wird. Dafür müssen Anreize geschaffen werden, damit der Verbraucher in Zukunft zum Beispiel sein E-Auto oder seinen Boiler in dem Moment auflädt, in dem Strom durch Wind erzeugt wird."
Kay Wagner