"Sorry, das Land ist blockiert! Ihre Regierung war eine einzige Blockade": Bart De Wever und Alexander De Croo liegen sich in einem VRT-Studio in den Haaren. Spätestens an diesem Abend wird deutlich, dass die beiden wohl nie miteinander in Urlaub fahren werden. Beide Politiker kultivieren einen gepflegten Hass aufeinander. De Wever wurde gar schon mit den Worten zitiert, er wolle die OpenVLD "kaputtmachen", also die Partei des amtierenden Premiers. Das hat vor allem damit zu tun, dass N-VA und OpenVLD mehr oder weniger in demselben Teich fischen. Beide sind betont wirtschaftsliberal ausgerichtet, stehen also sozialwirtschaftlich rechts. Beide unterscheidet hingegen ihre Haltung zu einer neuen Staatsreform.
Dieses Spannungsfeld konnten die Zuschauer am Dienstagabend in der VRT wieder beobachten. In einer ersten Phase versucht De Wever, De Croo die liberalen Akzente abzusprechen. Die Vivaldi-Koalition habe eine linke Politik geführt. "Stimmt nicht!", zischt der amtierende Premier. Die Vivaldi-Regierung habe letztlich eine Zentrumspolitik geführt. Linke und rechte Akzente hätten sich unterm Strich ausgeglichen.
In einer zweiten Phase dreht De Croo den Spieß herum und reicht De Wever die Hand. Hier könne sich doch bald eine einmalige Chance bieten, sagt De Croo. In der Wallonie scheine die PS zu schwächeln; die Mitte-Rechts-Parteien Les Engagés und MR hätten im Süden des Landes den Wind in den Segeln. Es könne sich also die Möglichkeit bieten, eine Mitte-Rechts-Regierung zu bilden. Diese könne eine Politik führen kann, auf die Flandern wartet: Reform des Arbeitsmarktes, der Migrationspolitik, der Sicherheit. "Diese Chance können Sie doch nicht liegenlassen, nur weil Sie partout eine Staatsreform wollen", wendet sich De Croo an De Wever. "Für diese Staatsreform brauchen Sie nämlich eine Zweidrittelmehrheit und dann sitzt die PS wieder am Tisch".
Phase drei: De Wever signalisiert Gesprächsbereitschaft, stellt aber Bedingungen. "Mein Gott, natürlich werden wir die ausgestreckte Hand nicht ausschlagen", erwidert der N-VA-Chef. "Wenn's wirklich so sein sollte, dass die Mitte-Rechts-Parteien in der Wallonie stärker werden, dann werden wir 'natürlich' mit ihnen zusammenarbeiten". Deswegen plädiere er ja schon seit Monaten für die Bildung einer Notregierung, die sich mit dem Haushaltsloch beschäftigen soll.
Das ist nämlich immer noch De Wevers Plan. Er weiß, dass sich das Land eine lange Verhandlungsphase nicht leisten kann. Darum schlägt er vor, ein Krisenkabinett einzusetzen, das nur eine Aufgabe hat: den haushaltspolitischen Brand löschen. Währenddessen verhandeln die Parteien dann in Ruhe über eine neue Staatsreform. Zwei Jahre will De Wever den Parteien geben. Sollte bis dahin keine Einigung über eine Staatsreform erzielt worden sein, würden Neuwahlen ausgerufen. Experten haben schon wiederholt Zweifel an diesem Szenario angemeldet. Sie argumentieren, dass eine auf zwei Jahre befristete Notregierung erst gar keine Reformen in Angriff nehmen würde.
Phase vier: De Croo lehnt De Wevers Bedingungen ab. "Warum versteifen Sie sich so auf eine neue Staatsreform? Warum ein solch kompliziertes Konstrukt?" "Weil inzwischen auch auf frankophoner Seite ein Umdenken stattgefunden hat", antwortet De Wever. Les Engagés befürworteten eine Staatsreform, auch die MR. Man könne also nicht sagen, dass er mit der Forderung noch alleine dastehe, so der N-VA-Chef.
"Wären Sie denn bereit, auf das Amt des Premierministers zu verzichten und es der größten Fraktion zu überlassen?", wendet sich De Wever an De Croo. "Klar", antwortet der Amtsinhaber, "das wäre ja nur logisch. Aber nur, wenn's darum geht, dem Land die Reformen zu geben, die es nötig hat und nicht, um uns in heillose Staatsreformen zu stürzen".
Möglicherweise ist diese angeregte Debatte ein Omen dafür, dass die Regierungsbildung (mal wieder) sehr lange dauert…
Roger Pint