Durchschnittlich einen Meter lang, geflecktes Fell, gedrungene Statur, muskulöse Beine mit auffällig großen Pfoten, ein Stummelschwanz, ein ausgeprägter Backenbart und natürlich die charakteristischen Pinselohren: so sehen Luchse aus. Zu bewundern waren sie hierzulande eigentlich nur noch in Zoos. Aus den Wäldern Westeuropas waren sie lange Zeit fast vollends verschwunden. In den 1970er Jahren gab es in einigen Mittelgebirgen in Frankreich und Deutschland sowie im Alpenraum erste Versuche der Wiederansiedelung.
Belgien war lange Zeit ein weißer Fleck auf der Luchskarte. 2020 staunten die Wildhüter im Nationalpark "La Vallée de la Semois" bei Bouillon aber nicht schlecht, als sie die Bilder einer Wildkamera auswerteten. Ein Eurasischer Luchs war ihnen in die Fotofalle getappt. In den darauffolgenden Jahren löste das Tier immer wieder den Bewegungssensor von Wildkameras aus. Deshalb gehen Experten davon aus, dass er in dem Park sesshaft geworden ist.
Wie es den Luchs an die Semois verschlagen hat, ist nicht bekannt. "Wir vermuten, dass das Tier ursprünglich aus dem Pfälzerwald in Deutschland oder dem französischen Jura stammt", sagte Pepijn T'Hooft von der Naturschutzorganisation WWF in der VRT.
In den Augen der Naturschützer "schreit" dieser Luchs aber förmlich nach Gesellschaft. Die Verantwortlichen des Nationalparks im Semois-Tal und der WWF haben sich jedenfalls gemeinsam die Frage gestellt, ob es in Belgien Platz für eine größere Luchspopulation gäbe. Die Frage wurde weitergereicht an die Berliner Humbold-Universität. "Deren Antwort auf die Frage lautet: 'Ja!'", freute sich in der RTBF der Biologe Corentin Rousseau, der ebenfalls für den WWF arbeitet. Die Berliner Studie komme zu dem Schluss, dass es in Belgien Platz für insgesamt rund 75 Luchse gebe.
Genauer gesagt ist hier nur die Rede von der Wallonie, denn Luchse leben nämlich in ausgedehnten Waldgebieten, die es so in Flandern schon lange nicht mehr gibt. Und selbst in der Wallonie müssten laut Pepijn T'Hooft Anpassungen etwa in Form von zusätzlichen Wildbrücken oder Unterführungen vorgenommen werden, da auch hier die Wälder nicht zusammenhängend genug sind und vielfach von Straßen durchzogen werden.
Ungeachtet dieser praktischen Fragen stellt sich für Corentin Rousseau die Frage nach der Akzeptanz: "Wollen wir eigentlich eine Rückkehr der Luchse? Wie sieht das die Bevölkerung? Wie sieht das die Verwaltung? Wie sehen das die Waldbesitzer oder die Jäger?" In diesem Zusammenhang sei es wichtig zu wissen, dass Luchse keine Wölfe seien, so Corentin Rousseau. Luchse seien sehr scheu und würden sich ganz selten an Schafen vergreifen. Und wenn, dann töteten sie nur eines; bei einem Wolf könnten es hingegen bis zu zehn Tiere sein. In der Regel jagen die Pinselohren Rehe oder kleinere Waldtiere, manchmal sogar Füchse.
Mit bis zu 70 Zentimetern Schulterhöhe sind Luchse die größten Wildkatzen Europas. Aber in der Regel bleiben sie "unter dem Radar" und gehen Menschen konsequent aus dem Weg. Sie sind wahre Meister im Verstecken. "Nichtsdestotrotz bleibt der Luchs immer noch eine heimische Tierart", sagt Pepijn T'Hooft. "Luchse gehören in die großen europäischen Wälder; also auch in die Ardennen und in die Eifel. Und es wäre schön, wenn wir in Belgien einen Beitrag leisten könnten zum Erhalt der Tierart."
In der EU gibt es schätzungsweise nur noch zwischen 7.000 und 8.000 Eurasische Luchse. In Frankreich und Deutschland sind einige Populationen vom Aussterben bedroht.
Roger Pint