2024 ist in Belgien bekanntlich das Superwahljahr schlechthin. In diesem Jahr wählen wir auf der föderalen, der regionalen und der Gemeinschaftsebene, nicht zu vergessen fürs Europaparlament - und dann stehen im Oktober ja noch die Gemeinde- und Provinzwahlen an.
Die Sozialwahlen kommen in diesem Jahr daher ein bisschen unter die Räder - zumindest von außen betrachtet. Denn: Sämtliche Medien und politische Beobachter haben zurzeit nur Augen für die "richtigen" Wahlen, die vom 9. Juni also. Doch sind die Sozialwahlen dafür nicht minder wichtig, geht es doch schließlich um innerbetriebliche Mitsprache der Arbeitnehmer und damit auch um den Sozialen Dialog.
Wahl des Betriebsrats
Ab Montag und in den nächsten zwei Wochen sind rund zwei Millionen Arbeitnehmer im Privatsektor aufgerufen, ihre Vertreter zu wählen. Dabei geht es um zwei Gremien. Erstmal um den Betriebsrat. Den gibt es in Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern.
Der Betriebsrat hat durchaus ein Mitspracherecht, kann beispielsweise auch Informationen über die sozial-wirtschaftliche Lage des Unternehmens einfordern und auf dieser Grundlage auch Empfehlungen abgeben. Das ist auch das Gremium, in dem das Personal über alle wichtigen Entscheidungen ins Bild gesetzt werden muss, insbesondere in Bezug auf möglicherweise drohende Umstrukturierungsmaßnahmen.
Dieser Betriebsrat besteht zur Hälfte aus Personalvertretern. Und genau die müssen bis zum 26. Mai gewählt werden. Die Kandidaten starten jeweils unter grüner, roter oder blauer Flagge.
Ausschuss für Gefahrenverhütung und Schutz am Arbeitsplatz
Daneben gibt es noch eine zweite Ebene, auf der die Mitarbeitenden ein gewisses Mitspracherecht für sich beanspruchen können, nämlich den Ausschuss für Gefahrenverhütung und Schutz am Arbeitsplatz. Um ein solches Komitee einsetzen zu können, muss ein Betrieb mindestens 50 Mitarbeiter haben. Wie es der Name schon vermuten lässt, kümmert sich dieses Gremium vor allem um Fragen der Sicherheit und der betrieblichen Gesundheitsförderung.
In Belgien gibt es rund 7.200 dieser Ausschüsse. Und auch um deren Besetzung geht es bei diesen Sozialwahlen. Die finden entsprechend in eben diesen rund 7.200 Betrieben statt. Das gilt für den Privatsektor, aber auch für gemeinnützige Unternehmen, die mehr als 50 Mitarbeiter haben. Im öffentlichen Dienst werden die Personalvertreter nicht direkt gewählt, die innerbetriebliche Mitsprache wird über die Zahl der Mitglieder der verschiedenen Gewerkschaftsorganisationen austariert.
Keine großen Veränderungen erwartet
Im Gegensatz zu "normalen" Wahlen gibt es hier aber keine Wahlpflicht. Und außerdem war hier bislang auch keine nennenswerte Wählerwanderung zu beobachten. Kurz und knapp: Man wechselt ja nicht mal eben alle naselang die Gewerkschaft. Sprich: Mit großen Verschiebungen wird hier nicht gerechnet.
Deswegen kann man denn auch davon ausgehen, dass das Ergebnis von vor vier Jahren doch richtungsweisend sein dürfte: Die christliche CSC ist bislang landesweit immer noch die stärkste Gewerkschaft, mit rund 55 Prozent. Dahinter folgt die sozialistische FGTB mit rund 34 Prozent. Und auf Platz drei steht - allerdings mit einem konstanten Aufwärtstrend - die liberale CGSLB, die mit der Zehn-Prozent-Marke flirtet. Beobachter gehen davon aus, dass sich an diesem Ergebnis nichts wirklich grundlegend verändern wird.
Nach wie vor große Bedeutung von Gewerkschaften
Das soll aber kein Indiz dafür sein, dass es sich hier um ein Relikt aus alten Zeiten handelt, wo das Wort "Klassenkampf" noch zum Basiswortschatz einiger Gewerkschafter gehörte. Eher im Gegenteil: Die Zeitarbeitsfirma Randstad führt alle vier Jahre, also anlässlich jeder Sozialwahl, eine große Erhebung durch, in der es eben um die Repräsentation und, damit verbunden, die innerbetriebliche Mitsprache des Personals geht.
Erste Feststellung, sagte Randstad-Sprecher Wim Van der Linden in der VRT: Zwei Drittel der Arbeitnehmer sind "mehr oder weniger" bzw. "sehr" zufrieden mit der Arbeit ihrer Gewerkschaftsvertreter. Dieser Wert liegt höher als vor vier Jahren. Insgesamt könne man sagen, dass die Position der Gewerkschaften innerhalb der Unternehmen immer bärenstark sei, sagt Wim Van der Linden.
Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer gebe an, sich für die Belange seiner Gewerkschaft zu interessieren. Und auf wirklich allen Ebenen sei die Tendenz steigend. Also: Die Gewerkschaften, und damit verbunden auch die verschiedenen Mitsprachegremien, sind für die Mehrheit der Arbeitnehmer durchaus ein Thema, sagt die Zeitarbeitsfirma Randstad. Insofern sind diese Sozialwahlen für viele Lohnempfänger durchaus mehr als nur Relikte aus einer anderen Zeit.
Roger Pint