"Juhu! Ich habe ein Teil gefunden!", diesen Jubelschrei hört man immer mal wieder an den Stränden rund um den Ärmelkanal. Bei dem so gefeierten Strandgut handelt es sich um Objekte wie Rettungswesten, Sauerstoffflaschen oder Schwimmflossen, manchmal Haie oder Oktopusse, aber auch Blumen oder Plastikbesen - das alles nicht viel größer als ein Daumennagel.
Auf den ersten Blick sieht man: Das sind Legosteine. Aber wie kommen die an den Strand? "Das ist eine lange Geschichte", sagte in der VRT Dirk Denoyelle, Lego-Experte und seines Zeichens auch Lego-Künstler.
Es war der 13. Februar 1997, als im Ärmelkanal in der Nähe der Scilly-Inseln vor der Küste von Cornwall das Container-Schiff Tokio Express von einer Monsterwelle erfasst wurde. Einige der Container gingen über Bord, in einem davon befanden sich 4.756.940 Legosteine.
Wenige Wochen später fanden Strandspaziergänger die ersten Lego-Steine - erst in Südengland und dann so ein bisschen überall, von Frankreich und Belgien bis nach Nordholland. Sogar in den USA und Australien sollen Teile angespült worden sein. Rund vier Millionen Steine sollen direkt ins Meer gelangt sein.
Zu Beginn wurden denn auch gigantisch viele Teile an den Stränden gefunden, sagt Lego-Experte Dirk Denoyelle. Mit der Zeit wurden es natürlich immer weniger. "Es ist durchaus denkbar, dass der Container auf dem Meeresboden liegt und sich die Tür immer mal wieder durch die Strömung öffnet", sagt ein Experte in der Zeitung Het Laatste Nieuws. Das würde dann erklären, warum auch 27 Jahre später immer wieder noch einzelne Teile auftauchen.
"Great Lego Spill"
Längst ist das für Fans zu einer beliebten Wochenend-Beschäftigung geworden: Was an der Ostsee der Bernstein ist, das sind im südlichen Ärmelkanal eben die Relikte des "Great Lego Spill", wie der Vorfall auf Englisch getauft wurde. Übersetzt heißt das so viel wie "Die große Lego-Havarie". Unter den Lego-Jägern sind natürlich manche Teile begehrter als andere. "Wer den grünen Drachen findet, der hält quasi den Heiligen Gral in Händen", sagt Dirk Denoyelle. "Das Besondere ist nämlich, dass der nur ein halbes Maul hat, das war ein Fehler bei der Herstellung".
Sammler lecken sich auch die Finger nach dem schwarzen Oktopus, sagt Dirk Denoyelle. Fast schon ironisch ist es, dass viele Teile, die bei der Lego-Havarie im Ärmelkanal gelandet sind, ausgerechnet dem Thema "Ozeane" gewidmet waren: Seegras, Sauerstoffflaschen, Meerestiere, Harpunen und so weiter. Das passt irgendwie wie die Faust aufs Auge.
Aber bevor man jetzt an die Küste fährt, um sich auf die Suche nach den Plastik-Reliquien zu machen: Die Lego-Steine aus der Tokio-Express sind nicht wertvoller als andere, sagt der Kenner und Sammler Dirk Denoyelle. Besagter schwarzer Oktopus, der sei in der Tat schwer zu finden. Erstmal gab es nur knapp 5.000 Exemplare in dem Container und außerdem sei er von gewöhnlichem - echtem - Seegras kaum zu unterscheiden.
Er könne zwar verstehen, dass einer da Luftsprünge macht, wenn er so ein Teil findet. Richtige Legosammler geben dafür allerdings keinen Cent mehr. Aber es geht ja auch nicht immer um Geld. "Es ist doch amüsant, dass nach 27 Jahren immer noch Legosteine angespült werden und sich Menschen wie Bolle freuen, wenn sie eins dieser Objekte finden. Eigentlich eine schöne Geschichte."
Roger Pint