51.433 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind zwischen 2021 und 2023 in Europa verschwunden. Irgendwo hat sich ihre Spur verloren, Schicksal unbekannt. Ermittelt hat das das internationale Rechercheteam "Lost in Europe", dem auf belgischer Seite Journalisten von VRT News, dem Magazin Knack und der Zeitung De Standaard angehören. Die tatsächliche Zahl aber dürfte noch deutlich höher sein. Nur aus 13 europäischen Ländern liegen belastbare Zahlen vor.
Die meisten Minderjährigen verschwanden in Italien mit knapp 23.000, gefolgt von Österreich mit mehr als 20.000. Belgien liegt - wenn auch mit deutlichem Abstand - auf Platz drei mit 2.200, wobei hierbei die Zahlen leicht schwanken je nachdem, ob sie von Fedasil oder dem Vormundschaftsdienst stammen.
Im vergangenen Jahr sind laut Fedasil in Belgien 832 unbegleitete Minderjährige verschwunden, die meisten von ihnen aus den Einrichtungen, in denen sie nach ihrer Ankunft zunächst untergebracht werden. Doppelzählungen sind zwar nicht auszuschließen, weil es immer wieder vorkommt, dass Jugendliche mehrfach verschwinden und wieder auftauchen.
Doch wie kann es überhaupt passieren, dass ein Minderjähriger aus einem Auffangzentrum verschwindet? "Man kann Jugendliche nicht einfach einschließen. Sie können gehen, wohin sie wollen", erklärt Durentina Islamaj von VRT News, die an dem Bericht von Lost in Europe mitgearbeitet hat.
"Der zweite Punkt: Viele der Minderjährigen haben als Ziel gar nicht Belgien, sondern sind hier quasi nur Transitflüchtlinge mit einem anderen europäischen Land als Ziel. Und genau dieser Wunsch, gepaart mit einem tiefen Misstrauen gegen alle staatlichen Einrichtungen, macht diese Kinder besonders anfällig für Menschenhändler."
Es ist zu befürchten, dass ein Teil der minderjährigen Flüchtlinge in den Fängen von kriminellen Banden landet. 343 Fälle wurden von der Staatsanwaltschaft als beunruhigend eingestuft. Gründe sind zum Beispiel das sehr junge Alter, eine Krankheit, die die regelmäßige Einnahme von Medikamenten nötig macht oder eine lebensbedrohliche Situation.
Vergangenes Jahr haben sich alle beteiligten Stellen auf einen Fahrplan verständigt, der verhindern soll, dass unbegleitete Minderjährige verschwinden, und der für solche Fälle eine Handlungsgrundlage bietet. Mit am Tisch: Child Focus. Die Organisation für vermisste und ausgebeutete Kinder fordert auf diesem Gebiet eine engmaschige Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. "Was es braucht, ist ein zentrales System auf europäischer Ebene, das einzig das Ziel verfolgt, vermisste Kinder wiederzufinden. Dafür müssten auch die Polizeidienste in Europa enger zusammenarbeiten", sagt Sofia Mahjoub von Child Focus.
Große Hoffnungen ruhen auf dem neuen EU-Asylgesetz. EU-Binnenkommissarin Ylva Johansson hält das bisherige Asylsystem für gescheitert, weil zu viele Menschen durch die Maschen fallen. Das soll sich mit dem neuen EU-Migrationspakt ändern. Die neuen Regeln sollen zu einem viel besseren Schutz für unbegleitete Minderjährige führen, sagte Johansson.
belga/vrt/jp/sh