"Medikamentenmangel ist ein Problem in ganz Europa", stellt der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke klar. Manche Menschen müssten hunderte Kilometer fahren, um bestimmte Arzneimittel zu finden, sagte Vandenbroucke in der VRT. Apotheker müssten pro Woche zehn Stunden nur damit verbringen, Medikamente auf dem Markt zu suchen, und Ärzte seien enorm frustriert, weil die Präparate einfach nicht aufzutreiben seien, die sie verschreiben wollten oder die notwendig seien.
Das habe natürlich auch seine Gründe, erklärt der Gesundheitsminister. In Europa gelten zum Beispiel strenge Auflagen in puncto Produktion und Umweltschutz. Außerdem sind die Löhne hier auch sehr hoch. Die Folge: Um weiter Gewinn zu machen, wandert die pharmazeutische Industrie ab.
Gerade die Produktion günstiger Generika, also sogenannter Nachahmer-Medikamente, habe sich in den letzten Jahren massiv aus Europa nach Asien verlagert, vor allem nach Indien und China, so Vandenbroucke. Viele Generika würden in Europa auch einfach nicht mehr angeboten. Ein Viertel der Generika sei so in den letzten Jahren vom Markt verschwunden.
Diese Verlagerung der Medikamentenproduktion in ferne Länder mache Europa natürlich sehr abhängig und damit verwundbar. Insbesondere dann, wenn es dadurch dann weltweit nur noch ein oder zwei Anbieter für bestimmte Arzneimittel gebe.
Deswegen habe Belgien eine Initiative gestartet, um diesen Trend nicht nur zu bekämpfen, sondern sogar umzukehren, erklärt der Gesundheitsminister. 23 andere EU-Staaten hätten sich dem Vorhaben angeschlossen und so die Europäische Kommission davon überzeugt, die "Allianz für kritische Arzneimittel" ins Leben zu rufen.
Solidaritätsmechanismus und staatliche Unterstützung
Erste Schritte gegen akuten Medikamentenmangel seien auch bereits unternommen worden, etwa die Einrichtung eines freiwilligen Solidaritätsmechanismus. Wenn in einem EU-Land ein Medikament fehle, ein anderes Land davon aber noch Vorräte oder sogar zu viel habe, dann könnten sich die Länder schnell gegenseitig helfen. Belgien und Frankreich hätten auch schon erfolgreich von diesem Mechanismus Gebrauch gemacht.
Aber damit ist das grundsätzliche Problem natürlich nicht gelöst. Das Ziel müsse sein, die Produktion wichtiger Medikamente zurück nach Europa zu holen. Die Allianz habe deshalb die Aufgabe, entsprechende Vorschläge auszuarbeiten. So sei zum Beispiel klar, dass dieses Vorhaben nicht funktionieren könne, wenn die Staaten nicht auch bereit seien, die Pharmafirmen finanziell zu unterstützen, damit diese in Europa produzieren - zum Beispiel bei der Modernisierung ihrer Anlagen auf aktuelle europäische Standards.
Außerdem solle die Allianz sich auch mit der Frage befassen, wie wirklich belastbare Verträge mit Drittstaaten abgeschlossen werden können. Es müsse wirklich sichergestellt werden, dass bestellte Medikamente oder Grundstoffe für Medikamente zuverlässig geliefert würden.
Bis zum Ende des Jahres soll ein wirklicher strategischer Plan dafür stehen, verspricht Vandenbroucke. Die eigentliche Umsetzung wird allerdings Jahre in Anspruch nehmen, das räumt der Gesundheitsminister auch ein. Umso wichtiger sei es, jetzt damit zu beginnen.
Boris Schmidt