Stéphane Burton ist ein großer Name in der Luftfahrtindustrie. Er ist Chef der Orizio-Gruppe, und zu dieser Gruppe gehören die beiden Unternehmen, die in der belgischen Luftfahrtindustrie vielleicht den größten Ruf genießen: Nämlich die Unternehmen Sabca und Sabena Engineering.
Beide Unternehmen wurden zu Beginn der 1920er Jahre gegründet und gehören immer noch zu den Kernunternehmen der belgischen Luftfahrtindustrie - die weltweit einen guten Ruf genießt, was für den Außenstehenden vielleicht nicht ganz nachvollziehbar ist. Denn komplette Flugzeuge werden in Belgien ja nicht gebaut. Dafür ist Belgien in einem anderen Bereich Spezialist: bei der Technologie, vor allem bei der Technologie für Flügel, für die Motorisierung und für die Herstellung von Material, wie Stéphane Burton erklärt.
Dieses Know How made in Belgium werde gerade wieder gefragt. Die Pläne der EU, angesichts des russischen Kriegs in der Ukraine die Verteidigung massiv zu stärken, sei eine gute Nachricht für die belgische Luftfahrtindustrie. Denn die verwendet ihr Wissen auch für Militärflugzeuge.
Dass Europa bei der Entwicklung ihrer Militärtechnik die Entwicklung verschlafen habe und jetzt den großen Militärmächten wie USA und China hinterherhinke, sieht Burton übrigens nicht so. "Nein, Europa hinkt ganz und gar nicht der Entwicklung hinterher. Europa muss sich allerdings positionieren, denn wir haben ein Regierungssystem, das manchmal etwas langsam ist, weil es eben nicht dirigistisch ist. Europa ist jetzt aber gerade aufgewacht. Denn wir hatten die Gesundheitskrise, wir haben eine Wirtschaftskrise und jetzt haben wir eine Sicherheitskrise. Und ich denke positiv und sage: Europa macht das, was man tun muss."
Doch nicht nur für die Militärluftfahrt sieht Burton die Zukunft rosig. Auch in der zivilen Luftfahrt werde Belgien sein Technologie-Know-how weiter einbringen. Die Entwicklung hin zu Flugzeugen, die immer weniger die Umwelt belasten, sei zum Beispiel eine Spielwiese, auf der sich belgische Spezialisten gut austoben könnten. Dafür müssten allerdings die Voraussetzungen stimmen.
Hier gäbe es noch einiges zu tun, meint Burton, und zählt dann zunächst die gewohnten Dinge auf, die Unternehmens-Chefs bei solchen Gelegenheiten in Belgien gerne von sich geben: Senkung der Lohnnebenkosten, also weniger Steuern und Sozialabgaben. Mehr Möglichkeiten, Arbeitnehmer flexibel einzusetzen, und eine stärkere Digitalisierung, um sich auf die Welt von morgen einzustellen, wie Burton sagt. "Die zweite Forderung ist, eine Industriepolitik zu haben, die auf lange Sicht - auf mehrere Jahrzehnte - angelegt ist, und sich nicht von Regierung zu Regierung ändert."
Am Donnerstag feiert Burton mit seinen Kollegen und Mitarbeitern übrigens 100 Jahre belgische Luftfahrtindustrie. Obwohl diese Industrie eigentlich schon etwas älter ist. Vielleicht ist es ja der Stolz auf diese Industrie - ein Stolz, den Burton in der Gesellschaft zu wenig gespiegelt sieht. "Ganz generell sind wir in Belgien zu wenig stolz auf das, was wir leisten", sagt er. "Wir sind uns nicht bewusst, welche Schätze wir haben. Welches Know-how wir besitzen. Und unsere Bedeutung, die wir in einigen Sektoren haben, zum Beispiel auch im Luftfahrt- und Verteidigungssektor."
Kay Wagner