Die Kinderschutzorganisation Child Focus ist als Reaktion auf die Dutroux-Affäre ins Leben gerufen worden. Hunderttausende Menschen und nicht zuletzt auch Angehörige der Opfer von Marc Dutroux hatten damals einen besseren Schutz von Kindern gefordert und die Einrichtung eines Dienstes, der bei der Suche nach vermissten Kindern helfen sollte. Child Focus bietet unter anderem eine gebührenfreie Notrufnummer an, unter der rund um die Uhr das Verschwinden oder der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gemeldet werden kann. Die Organisation unterstützt auch beispielsweise die Eltern vermisster Kinder und führt Sensibilisierungs- und Präventionskampagnen durch.
Bedarf wächst
Ein nach wie vor offensichtlich sehr notwendiges Angebot, wie die Direktorin von Child Focus, Heidi De Pauw, auch im Interview mit Radio Eén bestätigt. Der Bedarf in der Gesellschaft wachse sehr stark, was das Verschwinden von Kindern und Jugendlichen betreffe und auch ihre sexuelle Ausbeutung, gerade über das Internet.
Wie groß die Nachfrage ist, das lässt sich an den Fallzahlen ablesen. Schon 2022 ist - im negativen Sinn leider - ein Rekordjahr für Child Focus gewesen. Und 2023 hat dieser Trend noch weiter zugenommen: Im vergangenen Jahr habe Child Focus 32 Prozent mehr Fälle von Verschwinden oder sexueller Ausbeutung gemeldet bekommen. Über die Telefon-Hotline seien im gleichen Zeitraum fast 22.000 Anrufe eingegangen - das sei eine Steigerung um sogar 39 Prozent.
Allgemeiner Ansprechpartner
Allerdings gehe es dabei nicht immer um vermisste oder sexuell missbrauchte Kinder, unterstreicht die Direktorin. Im Lauf der Zeit sei Child Focus mehr und mehr auch zu einem allgemeinen Ansprechpartner für Kinder und Jugendliche geworden. Und auch besorgte Eltern und Schulen nutzten die Möglichkeit immer häufiger.
Oft gehe es um das mentale Wohlbefinden, um seelische Probleme, um junge Menschen mit dunklen Gedanken und ähnliche Fälle. Und auch wenn sie eigentlich nicht in den Aufgabenbereich von Child Focus fielen, werde ihnen trotzdem zugehört, unterstreicht De Pauw, und würden sie anschließend an die darauf spezialisierten anderen Dienste weitervermittelt. Das stelle natürlich auch einen arbeitstechnischen Aufwand dar, den Child Focus mit seinen begrenzten Mitteln bewältigen müsse.
Immer mehr Ausreißer
Aber auch die Entwicklung der "klassischen Fälle" bereitet Child Focus Sorgen. Es gebe auch immer mehr junge Ausreißer. Im Vergleich zu 2019 hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren fast verdoppelt. Und bei 20 Prozent von ihnen handele es sich um Kinder und Jugendliche, die immer wieder von zu Hause wegliefen. Das bedeute, dass die zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst würden.
Und dann seien da natürlich noch die enormen Veränderungen durch die Digitalisierung, alles spiele sich ja heute online ab. Kinder hätten heutzutage im Schnitt mit acht Jahren schon ihr eigenes Smartphone - und seien damit allen Gefahren ausgesetzt, die das mit sich bringe.
Das Internet, Apps, Spiele - leider nutzten Täter all diese Möglichkeiten, um sich Kindern und Jugendlichen zu nähern und sie dann sexuell zu missbrauchen, warnt die Child-Focus-Direktorin.
Finanzielle Unterstützung notwendig
Trotz der Zunahme der zu leistenden Arbeit halte der Strom finanzieller Mittel nicht Schritt mit dieser Entwicklung. Die Folge seien unter anderem lange Wartezeiten für Opfer.
Child Focus arbeite 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, betont De Pauw. Um weiter eine Antwort auf die Nöte der Gesellschaft bieten zu können, sei deshalb eine strukturelle finanzielle Unterstützung notwendig.
Aktuell finanziert sich Child Focus zu knapp einem Fünftel über eine Dotation der Nationallotterie, der Rest der Mittel stammt aus Spenden.
Boris Schmidt