Der Name des neuen Fortbildungsprogramms "Operation Alert" sagt eigentlich schon, was das Hauptziel ist: "Alert" sein, also wachsam oder aufmerksam, was oft sehr subtile, wenn nicht sogar versteckte Signale angeht. Denn es kostet die Opfer von sexueller, intrafamiliärer oder auch anderer Gewalt oft enorm viel Überwindung, sich überhaupt jemandem gegenüber zu öffnen. Und selbst wenn sie bereit sind, Kontakt aufzunehmen, dann passiert das häufig in sehr zaghafter Form.
Es ist wichtig, richtig zu reagieren
"Wenn die anvisierten Ansprechpartner dann falsch, zögerlich oder vielleicht sogar überhaupt nicht reagieren, kann das dazu führen, dass die Opfer sich wieder zurückziehen", erklärt Ines Keygnaert im Interview mit Radio Eén. Sie ist die Leiterin des neuen Programms und Professorin für sexuelle und reproduktive Gesundheit an der Universität Gent. Im schlimmsten Fall könnten Opfer den Eindruck mitnehmen, dass ihnen sowieso niemand helfen könne oder wolle.
Dem Personal des Gesundheitssektors kommt in diesem Kontext deshalb eine besonders wichtige Rolle zu: Oft sind sie die ersten und vielleicht sogar die einzigen Personen, zu denen Opfer sexueller oder intrafamiliärer Gewalt Kontakt haben. Umso wichtiger ist es, dass gerade sie entsprechend geschult sind für solche Kontaktaufnahmen. Aber so etwas gehört im Normalfall nicht zu ihrem Studium oder ihrer Ausbildung. Deswegen das Fortbildungsprogramm "Operation Alert", das anfangs vor allem aus interaktiven Online-Modulen besteht.
Die Fortbildung soll dem Personal des Gesundheitssektors ein ganzes Arsenal von Signalen näherbringen, die Opfer von Gewalt aussenden könnten. Neben der Erkennung möglicher Spuren körperlicher Gewalt geht es auch um das Detektieren von Verhaltensänderungen oder -auffälligkeiten, die einen entsprechenden Verdacht nahelegen könnten.
Die richtigen Worte finden
Ein weiteres Element: Lernen, über mögliche Gewalt zu sprechen. Denn es sei wichtig, die richtigen Worte möglichen Opfern gegenüber zu finden. Und dann gehe es auch ganz praktisch darum, zu lernen, an wen sich das Personal wenden könne, beziehungsweise an wen es Opfer weiterverweisen könne.
Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, sollen mit den verschiedenen Diensten bekannt gemacht werden, die im Bereich sexueller, intrafamiliärer oder anderer Gewalt aktiv sind. Dabei wendet sich die "Operation Alert" aber explizit nicht nur an Fachärzte und Krankenpfleger in Krankenhäusern, unterstreicht Keygnaert: "Es gibt sogar einen angepassten Basis-Kurs für unterstützendes Personal in den Krankenhäusern. Also zum Beispiel für Reinigungskräfte oder Menschen, die für Patiententransfers zuständig sind." Denn auch dieses Personal bekomme sehr viel zu sehen und zu hören, was mögliche Signale von Opfern angehe.
Die Alert-Fortbildungen stehen darüber hinaus aber auch allen Menschen offen, die im Gesundheitssektor außerhalb von Krankenhäusern arbeiten. Dazu zählen etwa Hausärzte oder auch Physiotherapeuten. Sprich allen, die im weitesten Sinne Patienten empfangen oder weiterverweisen oder in der Nachsorge tätig sind.
Die Kampagne umfasst nicht nur Online-Module: Neben Grund- und weiterführenden Modulen gibt es auch Fortbildungen mit Anwesenheit, um das Erkennen von und den Umgang mit Gewaltopfern zu trainieren.
Die Planung geht auch schon weiter, wie die Leiterin des Programms betont: Es sollen nämlich auch Werkzeuge entwickelt werden, die dem geschulten Personal in der Praxis unter die Arme greifen sollen.
Boris Schmidt