"In den Monaten Oktober und November ist die Zahl der Warnhinweise regelrecht durch die Decke gegangen", sagte Gert Vercauteren, der Chef der Anti-Terror-Behörde Ocam, in der VRT. Dabei geht es um Meldungen über verdächtige Aktivitäten mit extremistischem oder terroristischem Hintergrund. Insgesamt sind im vergangenen Jahr 332 solcher Warnhinweise eingegangen – das ist ein Plus von 41 Prozent im Vergleich zu 2022. Maßgeblich für diesen Anstieg verantwortlich war eben die besagte Periode im Herbst.
Ein Scheitelpunkt im Oktober und November – da muss man kein Terrorismus-Experte sein, damit klar wird, worauf diese Explosion an Warnhinweisen zurückzuführen ist: Am 7. Oktober führte die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas ihren barbarischen Terrorangriff auf Israel aus, bei dem mehr als 1.400 Menschen getötet wurden. Und in der Folge hat dann Israel mit voller Härte zurückgeschlagen.
Höhepunkt im Oktober und November
Der Nahostkonflikt hatte schon immer das Potenzial, auch im Rest der Welt die Köpfe zu vergiften. Und das Resultat sieht man dann eben sogar in den Zahlen des Ocam. Denn es ist offensichtlich, dass der sprunghafte Anstieg der Meldungen über extremistische oder terroristische Aktivitäten im Oktober und November eben auf die Gewalteskalation im Nahen Osten zurückzuführen ist, sagte Gert Vercauteren auch in der RTBF. Und obendrauf kam dann noch der Brüsseler Anschlag vom 16. Oktober. Da hatte ein islamistischer Terrorist in Brüssel auf offener Straße zwei schwedische Fußballfans erschossen. Seither gilt ja Terrorwarnstufe 3.
Beides, also der Nahostkonflikt und dann noch der Anschlag, sind emotional aufgeladene Ereignisse, die Gewaltausbrüche auslösen können. "Nach einem Anschlag besteht die Gefahr, dass Nachahmungstäter oder Trittbrettfahrer in Erscheinung treten", sagt auch Gert Vercauteren. "Man nennt das den Copycat-Effekt." Und tatsächlich hat der Brüsseler Anschlag genau diesen Effekt gehabt. In Deutschland sei kurz nach dem Brüsseler Anschlag ein Mann festgenommen worden, der eine ähnliche Aktion durchziehen wollte.
Erster Anstieg bereits Anfang 2023
Die Monate Oktober und November waren aber eben nur der Höhepunkt. Anfang des Jahres 2023 hatte es auch schon mal eine größere Zahl an Terrorwarnungen gegeben. Damals hatte die Polizei mehrere Razzien durchgeführt und eine Reihe von Verdächtigen festgenommen. Danach habe sich die Bedrohungslage entspannt, sagt Vercauteren. "Das gilt besonders für den Sommer 2023, der außerordentlich ruhig war."
Insgesamt waren es dann am Ende eben 332 Hinweise. In neun von zehn dieser Fälle handelte es sich um isolierte Verdächtige, die also alleine agierten. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, dass es in mehr als 30 Fällen dann doch um eine Organisation ging, also eine Gruppe von Menschen, die potenziell eine Gefahr darstellte. Bei vier von zehn dieser 332 Meldungen ging es um islamistische Umtriebe, die sich aber in den meisten Fällen als harmlos erwiesen haben. Nur sieben Prozent dieser Hinweise wurden als ernst eingestuft.
Seit Dezember rückläufige Zahlen
Ebenfalls 40 Prozent der Meldungen betrafen Aktivitäten ohne erkennbaren ideologischen Hintergrund, also weder islamistisch motiviert noch aus der rechts- bzw. linksradikalen Ecke. Wie dem auch sei: Seit dem Höhepunkt im vergangenen Herbst scheint sich die Lage wieder beruhigt zu haben. Seit Dezember sei die Zahl der eingegangenen Meldungen wieder rückläufig. Und dieser Trend habe sich auch Anfang dieses Jahres fortgesetzt, sagt Gert Vercauteren. Deswegen sei er denn auch vorsichtig optimistisch. Doch hänge über dem Ganzen natürlich weiter das Damoklesschwert der Nahost-Krieges. Am 10. März beginne darüber hinaus der Fastenmonat Ramadan. Das sei erfahrungsgemäß auch immer eine heikle Periode. Bis auf Weiteres bleibe es jedenfalls bei Terrorwarnstufe 3. Und bis man das Niveau wieder absenken kann, werde es wohl noch ein bisschen dauern.
Roger Pint