"Diese Frage steht aktuell für Belgien nicht auf der Tagesordnung". Diskussion beendet, denn viel mehr konnte die RTBF nicht aus der föderalen Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder herauskitzeln. Die PS-Politikerin wollte sich augenscheinlich nicht inhaltlich zu dem explosiven Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron äußern. Der hatte sich nämlich am Montagabend doch weit aus dem Fenster gelehnt: Es gebe zwar derzeit keinen Konsens im Hinblick auf eine offizielle Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine, aber in der Dynamik könne man nichts ausschließen, sagte Macron.
Allein der Hinweis darauf, dass es derzeit "keinen Konsens" in dieser Frage gebe, ist eigentlich schon eine doch verwegene Untertreibung, um nicht zu sagen: starker Tobak. Denn eigentlich steht Macron mit dieser Aussage derzeit mutterseelenalleine da.
Im Brüsseler Nato-Hauptquartier etwa muss sich der eine oder die andere am morgendlichen Kaffee verschluckt haben. Es gebe keine Pläne für Nato-Kampftruppen vor Ort in der Ukraine, ließ Generalsekretär Jens Stoltenberg eiligst verlauten. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz muss ebenfalls seinen Ohren nicht getraut waren. Er war schließlich bei der Sitzung dabei, auf die sich Macron berief. Und dabei sei ausdrücklich festgehalten worden, dass es auch in Zukunft dabei bleiben werde, "dass es keine Bodentruppen, auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Ländern oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden". "Entsprechende Pläne gibt es nicht", hieß es auch in London. Und auch in Osteuropa will man von einem Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nichts wissen.
"Unsere Priorität bleibt die Unterstützung der Ukraine mit insbesondere militärischem Material", sagte die föderale Verteidigungsministerin Ludivine Dedonder. Außerdem werden wir weiter ukrainische Soldaten ausbilden; bislang waren es schon 1.800. Ohnehin seien die belgischen Streitkräfte an insgesamt sechs Auslandsmissionen beteiligt, sagt Dedonder.
Viel brennender und auch realitätsbezogener ist eine Frage, die Tschechien zuletzt aufgeworfen hatte. Die Regierung in Prag hatte angeregt, dass man doch auch außerhalb der EU kurzfristig Munitionsankäufe tätigen könnte, etwa in Südkorea. Und dass man dieses Material dann gleich in die Ukraine schicken könnte. "Tolle Idee", reagierte schon der niederländische Premier Mark Rutte. Sein Land werde sich an dieser Initiative beteiligen und 100 Millionen Euro in den gemeinsamen Topf werfen. Und er sei davon überzeugt, dass sich schnell auch andere Länder dem Vorhaben anschließen werden.
"Wir denken auch ernsthaft darüber nach", sagte Verteidigungsministerin Dedonder. Die Frage stehe auf der Tagesordnung der morgigen Sitzung des Kernkabinetts. Und finanzieren würde man den belgischen Beitrag über die Erträge aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten.
Insgesamt geht es hier um über 600 Millionen Euro. Ein Teil davon wurde schon in Munition für die Ukraine investiert; es blieben aber noch rund 400 Millionen, die man ebenfalls für Material ausgeben wolle, das die Regierung in Kiew benötigt.
Was das langfristige Ziel angeht, da sind sich indes die Europäer weitgehend einig. "Es gibt keine andere Option, als Russland aus der Ukraine zurückzudrängen", erklärte unlängst auch nochmal Premierminister Alexander De Croo. Russland zeige sich aggressiver denn je; und hier gehe es denn auch nicht nur um die Ukraine, sondern um unser aller Freiheit.
Das ist tatsächlich weitgehend Konsens in Europa. Macrons Bodentruppen-Vorstoß ist demgegenüber bis auf Weiteres nicht mehr als eine bloße Einzelmeinung.
Roger Pint
"Es gibt keine andere Option, als Russland aus der Ukraine zurückzudrängen"
Natürlich gibt es eine andere Option: Friedensverhandlungen. Russland aus der Ukraine zurückzudrängen, würde diesen Krieg nicht automatisch beenden, es würde ihn eskalieren lassen.