Sollte sich nicht schnell etwas bewegen im Sinne der Landwirte, dann könnten die Proteste auch schnell wieder aufflammen. Und auch spontane Aktionen von einzelnen Bauern kann man nach wie vor nicht grundsätzlich ausschließen. Doch nach einer bewegten Woche gibt es jetzt also eine Atempause. Die Bauern nehmen ein bisschen Druck vom Kessel. Die Botschaft sei inzwischen wohl angekommen, sind sie überzeugt.
Am vergangenen Samstagabend hatten einige Landwirte sogar noch dem Premierminister persönlich einen Besuch abgestattet. Auf dem Rückweg nach Hause hatten sie an der Privatwohnung von Alexander De Croo kurz Halt gemacht, um auch ihn nochmal an ihre Sorgen und Nöte zu erinnern. "In der Tat: Ich habe von Landwirten Besuch bekommen", sagte De Croo in der VRT. "Wir hatten ein positives Gespräch, aber die Bauern hatten vor allem eine Frage auf dem Herzen, nämlich: 'Welche Zukunft gibt es noch für uns?'". Diese Frage beschäftigt die Landwirte nach wie vor. In erster Linie fordern sie angemessene Preise für ihre Erzeugnisse. Das mag manchmal vielleicht noch mehr oder weniger der Fall sein, doch eben längst nicht immer. Das Preisniveau ist allzu abhängig von der Entwicklung auf den Weltmärkten. Deswegen schlägt Alexander De Croo die Schaffung eines Solidaritätsmechanismus vor: "Das wäre eine Art Versicherung", sagte der Premier. "Ein Fonds also, der von allen Akteuren gespeist würde, und der als Puffer dienen würde, um dafür zu sorgen, dass die Bauern nicht jede Preisschwankung sofort zu spüren bekommen."
Denkbar wäre auch, dass Mindestpreise festgelegt werden, um den Bauern mehr Stabilität und Planungssicherheit geben zu können. "Schön und gut", reagierte in der VRT aber Bart Buysse, Geschäftsführer von Fevia, dem Verband der Lebensmittelindustrie. Das gehe aber nur unter einer Bedingung: "Ein garantierter Mindestpreis kann nur funktionieren, wenn jedes Glied in der Kette den Preis 'nach unten' weitergeben kann. Wenn wir die Preise nicht durchreichen können, bis hin zum Verbraucher, dann haben wir ein Problem", sagt der Fevia-Chef. Da ist er also wieder, der Verweis auf die Verbraucher, bei denen die heiße Kartoffel eigentlich unterm Strich fast immer landet.
Darüber hinaus hat Premier De Croo aber auch versprochen, auf europäischer Ebene dafür zu plädieren, dass diverse Freihandelsabkommen angepasst werden. Dies, um die Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen dahingehend zu begrenzen, dass die Importe keine unlautere Konkurrenz für die heimischen Bauern darstellen. Und dann sind da noch die buchstäblich zahllosen Regeln und Normen, denen die Landwirte unterworfen sind. Hier haben eigentlich alle befugten Regierungen Abhilfe versprochen, also die zuständigen Regionalminister und auch die föderale Ebene. Er könne den Ärger der Bauern hier durchaus verstehen, sagte Premier De Croo. Bei jedem Gespräch höre er, dass die Landwirte durchaus guten Willens sind. "Sie wollen Partner sein in dem derzeit laufenden Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Doch stehen sie vor einer regelrechten Lasagne von Regeln und Normen, die sich ständig ändern und die zudem alle auf einmal kommen."
"Die Botschaft ist angekommen" - mit dieser Einschätzung liegen die Bauern also zweifelsohne richtig. Durch ihre Proteste haben sie erreicht, dass ihre Probleme jetzt wirklich mal breit diskutiert werden. Und obendrauf wurde ihnen auch viel Sympathie entgegengebracht, haben viele Bürger mit viel Verständnis auf die Proteste reagiert. Das lässt den einen oder anderen auch nicht unberührt. Johan Baland, der in der Provinz Hennegau die Proteste gegen die Supermarktkette Colruyt organisiert hatte, reagierte in der RTBF fast schon gerührt. Es sei das erste Mal, dass sie so viel Empathie und so viel Unterstützung erfahren hätten. Dafür wolle er sich im Namen der Kollegen auch mal herzlich bedanken.
Aber es ist eben bis auf Weiteres nur eine Atempause. Die Bauern bleiben mobilisiert, die Protestbereitschaft sei ungebrochen, hieß es. Die Bauern werden nicht ruhen, bis sich wirklich was bewegt hat. Und, weil die Verbände zuletzt offensichtlich nur bedingten Einfluss auf ihre Mitglieder hatten, sind spontane Aktionen weiter nicht auszuschließen. Nach den Blockaden ist womöglich also nur vor den Blockaden.
Roger Pint